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ohne seiner wenigsiens zu gedenken? Wie schön ist diese schlichte Fassade! Verblüfsend durch die Knappheit
und Klarheit der Aufteilung. Der Kern des Baues und sein Hauptzweck ist der große Saal. Darum be-
herrscht die ganze Front eine durchlaufende Fensterreihe, in der Mitte zusammengehalten durch einen
Erker, der mit seinem kräftigen Standpfeiler die notwendige vertikale Linie hineinträgt. Die ganze Lösung
so selbstverständlich wie das Ei des Kolumbus. Und doch, was wäre dieser Bau ohne seine entzückende Lage
im Straßenbilde. Nicht an einem Plaß, auch nicht in der Straßenflucht, sondern quer zum Straßenzuge,
aber auf der einen Seite innig verbunden mit der Häuserflucht, so daß ein toter Winkel entsteht, zu klein für
einen Marktplah und groß genug für die nicht unmittelbar an denBeratungen Beteiligten, gewissermaßen
als Tribüne für
das Publikum.
Man denke sich
hier eine un-
ruhige Menge,
die das Ergeb-
nis der Rats-
verhandlungen
erwartete, z. B.
als Wolfgang
Roriher ausge-
liefert wurde,
oder das Ge-
pränge bei der
Ansahrt der
Würdenträger
zueinemNeichs- Abb. 65.7 Regensburg. Blick vom Domturm.
tag.
Ast es Zufalh oder ist es eine unbewußt glückliche Hand^ die diesen unvergleichlichen Winkel schuf,
oder ist es Raffinement? Durch die Lage quer zum Straßenzuge lenkt das Rathaus jedenfalls das ganze
Leben der Straße auf sich hin und zwingt jeden Beschauer auf den Standpunkt, von dem aus es sich am
vorteilhaftesten präsentiert.
Wer Negensburg als Stadtcharakter kennen lernen*) und dabei die Zllusion voll auskosten will, der
gönne sich auch den Genuß der ersten Anblicks der Stadt von jenseit der Donau. Man steigt in Stadt-
amhof aus dem Zuge und fährt mit der Walhallabahn bis zmn Brückenkopf und hält dann stillfeierlichen
Einzug in die Stadt. Über die in leichter Krümmung den Fluß überspannende alte Brücke (13. Aahrh.?)
mit massivem Steingeländer und dann durch den Brückenturm. Rnd weiter durch die kurzs ein wenig ge-
bogene Brückgasse, die gerade auf den „Goliath" prallt, der wie der Hintergrund eines Bühnenbildes den
Blick begrenzt. So ist man mit einem Schritt mitten im alten Regensburg.
*) Zur Insormation über Regensburg dienen nächst dem Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler v. Dehio und den
bereits genannten Werken Berthold Niehl: Deutsche u. italienische Kunstcharaktere, v. Walderdorss: Regensburg, Vergangenheit
und Gegenwart (sehr aussührlich); Hildebrandt: Regensburg (berühmte Kunststätten).
ohne seiner wenigsiens zu gedenken? Wie schön ist diese schlichte Fassade! Verblüfsend durch die Knappheit
und Klarheit der Aufteilung. Der Kern des Baues und sein Hauptzweck ist der große Saal. Darum be-
herrscht die ganze Front eine durchlaufende Fensterreihe, in der Mitte zusammengehalten durch einen
Erker, der mit seinem kräftigen Standpfeiler die notwendige vertikale Linie hineinträgt. Die ganze Lösung
so selbstverständlich wie das Ei des Kolumbus. Und doch, was wäre dieser Bau ohne seine entzückende Lage
im Straßenbilde. Nicht an einem Plaß, auch nicht in der Straßenflucht, sondern quer zum Straßenzuge,
aber auf der einen Seite innig verbunden mit der Häuserflucht, so daß ein toter Winkel entsteht, zu klein für
einen Marktplah und groß genug für die nicht unmittelbar an denBeratungen Beteiligten, gewissermaßen
als Tribüne für
das Publikum.
Man denke sich
hier eine un-
ruhige Menge,
die das Ergeb-
nis der Rats-
verhandlungen
erwartete, z. B.
als Wolfgang
Roriher ausge-
liefert wurde,
oder das Ge-
pränge bei der
Ansahrt der
Würdenträger
zueinemNeichs- Abb. 65.7 Regensburg. Blick vom Domturm.
tag.
Ast es Zufalh oder ist es eine unbewußt glückliche Hand^ die diesen unvergleichlichen Winkel schuf,
oder ist es Raffinement? Durch die Lage quer zum Straßenzuge lenkt das Rathaus jedenfalls das ganze
Leben der Straße auf sich hin und zwingt jeden Beschauer auf den Standpunkt, von dem aus es sich am
vorteilhaftesten präsentiert.
Wer Negensburg als Stadtcharakter kennen lernen*) und dabei die Zllusion voll auskosten will, der
gönne sich auch den Genuß der ersten Anblicks der Stadt von jenseit der Donau. Man steigt in Stadt-
amhof aus dem Zuge und fährt mit der Walhallabahn bis zmn Brückenkopf und hält dann stillfeierlichen
Einzug in die Stadt. Über die in leichter Krümmung den Fluß überspannende alte Brücke (13. Aahrh.?)
mit massivem Steingeländer und dann durch den Brückenturm. Rnd weiter durch die kurzs ein wenig ge-
bogene Brückgasse, die gerade auf den „Goliath" prallt, der wie der Hintergrund eines Bühnenbildes den
Blick begrenzt. So ist man mit einem Schritt mitten im alten Regensburg.
*) Zur Insormation über Regensburg dienen nächst dem Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler v. Dehio und den
bereits genannten Werken Berthold Niehl: Deutsche u. italienische Kunstcharaktere, v. Walderdorss: Regensburg, Vergangenheit
und Gegenwart (sehr aussührlich); Hildebrandt: Regensburg (berühmte Kunststätten).