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Jean Francois Millet.
Er hatte sich standhaft geweigert, der Konstitution den
Eid zu leisten, und hatte infolgedessen kaum das Leben
gerettet. Als die Schreckensherrschaft vorüber war,
blieb er in Gruchy bei seinem Bruder und Neffen,
wo er über dem alten Steinbrunnen, dem Hause gegen-
über, ein Zimmer bewohnte. Er lehrte Jean Louis
das Lesen und war abwechselnd Ortspfarrer und Feld-
arbeiter, man sah ihn das Brevier lesen oder den
Pflug führen. Sowohl im Hause als draussen war
der kleine Francois der beständige Begleiter des guten
Abbe, der mit fürsorglicher Liebe über die ersten
Jahre des Kindes wachte. Als er starb, war sein
Grossneffe erst sieben Jahre alt, aber der Tod machte
tiefen Eindruck auf den nachdenklichen Knaben.
Ein anderes Glied der Familie, welches eine
grosse Rolle in Frangois’ Kindheit spielte, war seine
Schwester Emilie; sie war ein Mädchen von sanftem,
hingebendem Naturell, der Liebling der ganzen Fa-
milie, besonders aber von ihrem Bruder Francois,
mit dem sie viel Aehnlichkeit hatte. Sie war seine
Lieblingsgefährtin aus der Knabenzeit und bewahrte
viele Geschichten von ihm auf, die sie später gerne
wiedererzählte. In ihren Augen war Francois immer
ein auffallendes Kind, andern Kindern ungleich in Art
und Denken. Frangois, der 18 Monate jünger war,
sah zu Emilie auf als zu der geliebten älteren Schwester
und machte eine reizende Zeichnung von ihr, am
Spinnrad sitzend, in der weissleinenen Haube, im
selbstgesponnenen Rock und in den Holzschuhen eines
normännischen Bauernmädchens. Die Neigung zwischen
Bruder und Schwester dauerte bis an ihr Lebensende
und überlebte viele Jahre der Prüfung und Trennung.
Als Emilie, welche die Frau eines benachbarten Be-
sitzers, mit Namen Lefevre, geworden war, 1866
Jean Francois Millet.
Er hatte sich standhaft geweigert, der Konstitution den
Eid zu leisten, und hatte infolgedessen kaum das Leben
gerettet. Als die Schreckensherrschaft vorüber war,
blieb er in Gruchy bei seinem Bruder und Neffen,
wo er über dem alten Steinbrunnen, dem Hause gegen-
über, ein Zimmer bewohnte. Er lehrte Jean Louis
das Lesen und war abwechselnd Ortspfarrer und Feld-
arbeiter, man sah ihn das Brevier lesen oder den
Pflug führen. Sowohl im Hause als draussen war
der kleine Francois der beständige Begleiter des guten
Abbe, der mit fürsorglicher Liebe über die ersten
Jahre des Kindes wachte. Als er starb, war sein
Grossneffe erst sieben Jahre alt, aber der Tod machte
tiefen Eindruck auf den nachdenklichen Knaben.
Ein anderes Glied der Familie, welches eine
grosse Rolle in Frangois’ Kindheit spielte, war seine
Schwester Emilie; sie war ein Mädchen von sanftem,
hingebendem Naturell, der Liebling der ganzen Fa-
milie, besonders aber von ihrem Bruder Francois,
mit dem sie viel Aehnlichkeit hatte. Sie war seine
Lieblingsgefährtin aus der Knabenzeit und bewahrte
viele Geschichten von ihm auf, die sie später gerne
wiedererzählte. In ihren Augen war Francois immer
ein auffallendes Kind, andern Kindern ungleich in Art
und Denken. Frangois, der 18 Monate jünger war,
sah zu Emilie auf als zu der geliebten älteren Schwester
und machte eine reizende Zeichnung von ihr, am
Spinnrad sitzend, in der weissleinenen Haube, im
selbstgesponnenen Rock und in den Holzschuhen eines
normännischen Bauernmädchens. Die Neigung zwischen
Bruder und Schwester dauerte bis an ihr Lebensende
und überlebte viele Jahre der Prüfung und Trennung.
Als Emilie, welche die Frau eines benachbarten Be-
sitzers, mit Namen Lefevre, geworden war, 1866