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Deutsche Gesellschaft für Christliche Kunst [Editor]
Die christliche Kunst: Monatsschrift für alle Gebiete der christlichen Kunst u. der Kunstwissenschaft sowie für das gesamte Kunstleben — 22.1925/​1926

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Nr. 2 (November 1925)
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Pfeffer, Anton: Zwei Kepplerbüsten von Max Seibold
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Mailly, Anton: Das Wahrzeichen von St. Michael in der Wachau
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https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/christliche_kunst1925_1926/0072

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50 DAS WAHRZEICHEN VON ST. MICHAEL IN DER WACHAU
mochte. Dieser Liniensprache glaubt man auch das Wort, das Bischof Keppler in seiner
Jubiläumspredigt vom 4. August 1925 in der Rottenburger Domkirche sprach: »Jeden-
falls hoffe ich, mit gutem Gewissen und aus voller Seele mein Kredo anstimmen zu
können, in der frohen Zuversicht, im Leben, Lehren und Predigen nie um
Haaresbreite abgewichen zu sein von unserem heiligen katholischen
Glauben, der das Glück meines Lebens war und meines Sterbens sein möge.« Die-
selbe Liniensprache unterstreicht das weitere Wort aus der Jubiläumspredigt, das den
Jubilar auch danken ließ für die Beleidigungen, Beschimpfungen und Verhöhnungen,
mit denen »Gott sei Dank« die Welt auch ihn beehrt habe . . .
Eine etwas mildere Note schlug der Künstler bei der Jubiläumsbüste an. Ebenfalls
fußend auf maßvoller Realistik läßt Max Seibold hier die väterliche Güte im Wesen des
Bischofs anklingen, welche Güte diese Züge so gewinnend zu verklären vermag. Auch
bei der Bronzebüste ist die Seitenansicht noch sprechender als die Wiedergabe en face.
Jedenfalls spricht unser Bild mit seinen scharfen Licht- und Schattenpartien überzeugend
von jenem Meister der Feder und des Wortes, der auf dem Stuttgarter Katholikentage
seinem Ruf nach »Mehr Freude« den Ruf nach »M e h r L i e b e« anfügte. Dieser Ruf nach
mehr Liebe kommt dem innersten Herzenssehnen der Menschheit von heute nicht minder
entgegen als der Ruf nach mehr Freude vor 15 Jahren!
Der monumentale Zug in der Auffassung beider Büsten läßt so sehr auch erkennen,
was Bischof Keppler in der Seele zuwider ist: Autoritätlosigkeit, charakterschwache
Weichlichkeit, Fahrigkeit und Undiszipliniertheit des Wesens, mag diese nun nervös
verbrämt sein oder nicht. Nicht umsonst singt der Oberhirte im Buche »Mehr Freude«
dem Primate des Willens ein so hohes Lob.
Jedenfalls ist Max Seibold die schwere Aufgabe gelungen, eine von innerer Wärme
des Schaffens und voller Beherrschung des Stofflichen und Technischen getragene treue
Wiedergabe der natürlichen Erscheinung zu geben. Die geistige Konzentration und die
Spannung, aus welcher der Künstler schöpfte, entsprechen dem seltenen äußeren Anlaß,
welchem beide Büsten ihre Entstehung verdanken. Sie stellen wohl das Beste an Plastiken
dar, die über den Jubilarbischof existieren und sie rechtfertigen es wohl, daß auch der
Name von Max Seibold in diesen Spalten zu Ehren kommt, die dem gleichen Ideal
wie er selbst nachstreben und aus denen so oft schon der Rhythmus erhabener Erscheinungen
aus dem Reiche des Glaubens und der Zeitgeschichte zu uns sprachen.
Unserem Künstler aber hoffen wir noch öfters an dieser Stelle zu begegnen, nachdem
er uns allzulange schweigen hieß, während seine Werke schon so lange, und so laut
zu uns sprechen!
DAS WAHRZEICHEN VON ST. MICHAEL IN DER WACHAU
Von ANTON MAILLY
A uf dem First des Chordaches der alten befestigten Friedhofkirche in St. Michael an der
Donau in Niederösterreich sind sieben, scheinbar laufende plumpe Tontiere zu sehen,
die im Volksmunde als die »sieben Hasen« fortleben. Die Sage erzählt, daß die Kirche
einmal ganz verschneit gewesen wäre, so daß sieben Hasen auf ihrem Dache Zuflucht
nahmen. Eine zweite Version berichtet wieder, daß vor langer Zeit sieben Hasen in
einem Stalle in abergläubischer Absicht gehalten wurden. Als der Papst dies erfuhr,
befahl er die Hasen zu töten und an der Stelle des Stalles eine Kirche zu bauen.
Eine dritte Volksdeutung geht dahin, daß die sieben Tiere auf dem Dache entweder
Hasen oder Pferde seien und daß der Erbauer oder der Dachdecker »Siebenhaas« oder
»Siebenrössel« geheißen habe und seinen Namen auf dem Dache figürlich verewigt hätte *)•
Diese Volksüberlieferungen sind volksarchäologische Lösungen einer rätselhaften Darstel-
lung, wiewohl die Sage vom Hasenstall die dunkle Erinnerung an eine heidnische Opfer-
stätte zu besitzen scheint. Die Tiere sind weder sieben Hasen noch sieben Pferde, und
der Erbauer der spätgotischen Anlage der Kirche hieß Meister Lienhart aus Krems.
Mit der Bestimmung der Gattung dieser sieben alten Tontiere sind selbst die Archäo-
logen nicht einig geworden. Anton Kerschbaumer hält in seinen »Wahrzeichen Nieder-

i) Vergl. Mailly, Niederösterreichische Sagen (Leipzig-Gohlis 1925), Nr. 216.
 
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