Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Gesellschaft für Christliche Kunst [Hrsg.]
Die christliche Kunst: Monatsschrift für alle Gebiete der christlichen Kunst u. der Kunstwissenschaft sowie für das gesamte Kunstleben — 22.1925/​1926

DOI Heft:
Nr. 10 (Juli 1926)
DOI Artikel:
Lipinsky, Angelo: Römische Grabdenkmäler des Barock
DOI Artikel:
Mailly, Anton: Die Hirsauer Turmskulpturen
Zitierlink:
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/christliche_kunst1925_1926/0342

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
DIE HIRSAUER TURMSKULPTUREN

300
ihm gestellten Aufgaben. Ob er aber auch den Anforderungen der Kunst genügte, ist eine
andere Frage. Es ist ein gemeißeltes Gemälde. Auch Bernini dachte seine Plastiken male-
risch, wie uns zahlreiche Zeichnungen beweisen. Aber auf dem Gebiete der Plastik sind un-
überschreitbare Grenzen gezogen, und oft genug blieben daher diese Arbeiten unvollendet.
Eine genaue exakte Definition über das Barock geben zu wollen, wäre ein genau so
fruchtloses Unterfangen, wie die philosophische Definition jener Zeit. Es stellt sich bei
näherem Betrachten heraus, daß es nicht ein Barock gibt, sondern daß man von einem
römischen, einem neapolitanisch-sizilianischen, einem spanischen, einem deutschen und
einem französischen Barock reden muß. Bei all dieser Verschiedenheit gibt es doch eine
ganze Serie gemeinsamer Merkmale, die man zusammenfassend ungefähr »gärende Un-
ruhe« nennen könnte. Man suchte immer wieder neue Probleme, versuchte Altem neue
Seiten abzugewinnen, man probierte und verlor sich endlich in Kleinlichkeiten, so daß
schließlich alle zugeben mußten, in eine Sackgasse geraten zu sein. Es gab nur noch ein
Zurück, wollte man nicht immer wieder dieselben Gedanken bis zum Uberdrusse be-
arbeiten. Der neue Weg bedeutete: Rückkehr zur klassischen Kunst.
Der große Wert des Barockzeitalters besteht darin, daß die Künstler danach strebten
selbständig zu denken, neue Formen zu schaffen, und man kann es fast verzeihlich finden,
wenn sie schließlich auf Geschmacklosigkeiten verfielen. An Originalität hat es ihnen ge-
wiß nicht gemangelt. Die Techniken in allen Zweigen der bildenden Künste erfuhren
wertvolle Neuerungen. Aber bei dieser großen Strömung ist es doch eigentümlich, daß
man so wenig wirklich erstklassige Meister findet, und daß so viele unter den Künstlern
über einen gewissen Durchschnitt nicht hinauskamen, während wir es mit großem Er-
staunen in der Hochrenaissance beobachten können, wie die bedeutendsten Meister ihrer
Zeit sich in einem scharfen Wettbewerb gegenüberstanden, der ihnen alle Ehre machte.
Wahrscheinlich war im Barock die Konkurrenz, die sich nur auf wenige Zentren, im
Gegensatz zur vergangenen Epoche konzentrierte zu groß, als daß ein bisher unbekannter
Künstler zur Geltung kommen konnte. Diese Überkultur schuf eine Epoche der Uberner-
vosität, und wir können tatsächlich an Hand von Dokumenten feststellen, daß ein großer
Teil der damaligen Künstler, ganz besonders Bernihi, stark nervenleidend war. — Lind so ist
es nicht verwunderlich, daß der Barockismus sich bis ins Pathalogische steigern konnte.
Durch die starke Ausdruckskunst des Barocks wird eine heitere Stimmung in die Kirche
getragen. Der Gottesdienst wird zu einer Freudigkeit und die Verstorbenen, wenn auch
nur in Marmor gegenwärtig, nehmen an den heiligen Handlungen teil.
DIE HIRSAUER TURMSKULPTUREN
Von ANTON MAILLY
TA er mächtige Glockenturm der Benediktinerabtei St. Peter und Paul in Hirsau im
Schwarzwald, erbaut unter der Leitung des berühmten Abtes Wilhelm um das Jahr
1090, besitzt an drei Seiten in etwa Zweistockwerkhöhe auf einem Gesimsvorsprung
eine figurale Friesausschmückung von großer archäologischer Bedeutung.
An der Nordseite sitzt in der Mitte ein bärtiger Mann in Kutte und mit Gürtel, der
seine linke Hand auf das Kniegelenk stützt. Über ihm springt ein flacher Wandpfeiler
hervor. Ähnliche bärtige Männer in sitzender Stellung befinden sich an der West- und
Südseite des Turmes. Die Figur der Südseite stützt auch die linke Hand aufs Knie und
hält die rechte empor, während jene an der Westseite mit beiden Händen die Last des mit
einer Basis versehenen Wandpfeilers, der wie auf seinem Buckel ruht, mitzutragen hilft.
Es steht wohl außer Zweifel, daß die drei Steinbilder Tragsteinfiguren darstellen; Vor-
bilder dieses architektonischen Figuralmotives findet man genug in der Antike.
Wer einige Übung in Betrachtung alter Baudenkmäler besitzt, erkennt sofort, daß
die drei Figuren mit den übrigen Friesbildern in keinem Zusammenhang stehen. Sie
sind mehr figural als symbolisch aufzufassen, Architekturbilder, deren Zweck vor allem
ist, die Festigkeit des Turmes bildlich zum Ausdruck zu bringen. Sie sind Abschluß-
bilder der vorspringenden Wandpfeiler, Motive, die in der Folge besonders in der Gotik
eifrige Nachahmung als Pfeiler und Erkerträger und Konsolenfiguren der Rippengewölbe
gefunden haben. Daß diese drei Bärtigen Mönche darstellen, erklärt sich schon aus der
Tracht, denn Kutte mit einfachem Gürtel trugen im Mittelalter nur die Klosterbrüder.
 
Annotationen