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Scholz, Hartmut
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Mittelfranken und Nürnberg (extra muros): Text — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 10,1, Teil 1: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.52869#0060

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KUNSTGESCHICHTLICHE EINLEITUNG

55

Wie differenziert die künstlerische Situation in Nürnberg
gerade im dritten Viertel des 14. Jahrhunderts betrachtet
werden muß, d.h. wie schwierig es noch immer ist, das
komplizierte Beziehungsgeflecht von westlichen und öst-
lichen Stilströmungen in der Nürnberger Malerei nach
der Jahrhundertmitte zu beurteilen, hat gerade die jüng-
ste Ausstellung zur Rekonstruktion des kleinen Taberna-
kelaltärchens aus dem Nürnberger Klarissenkloster im
Frankfurter Städel eindrucksvoll vor Augen geführt
(Textabb. 2/)88. Daß der Nürnberger Maler dieser erlese-
nen Täfelchen in Figurenstil, Typenschatz und techni-
schen Belangen wie den aufwendigen Brokatmustern,
den Lüsterüberzügen und den punzierten Zierleisten die
Kenntnis französischer bzw. franko-flämischer Tafelge-
mälde allerhöchsten Rangs verrät und zugleich bereits
über den architektonischen Apparat (verschachtelte
Gehäuse, Kassettendecken, gewirtelte Säulen) verfügt,
der wenig später in der Nürnberger Glasmalerei der
zweiten Jahrhunderthälfte als wesentlicher Bestandteil
der fensterübergreifenden Bildkompositionen erscheint,
ist für die Standortbestimmung auch des Hersbrucker
Fensters und das ungeklärte Verhältnis zur Prager und
Nürnberger Kunst nicht ohne Belang. Entsprechende
Architekturmotive, die letztlich dem Vorbild der italieni-
schen Malerei des Trecento entlehnt worden waren89,
sind zur selben Zeit auch in der böhmischen Malerei zu
finden, wobei nicht zu entscheiden ist, auf welchem Weg
das betreffende Formenvokabular nach Nürnberg
gelangte. Die von Kemperdick im Fall des Tabernakelal-
tärchens angestellten Überlegungen zur Vermittlung
hochkarätiger westlicher Vorbilder90 auf dem Umweg
über den Prager Hof scheinen übrigens - so hypothetisch
sie sein mögen - gerade für die Nürnberger Verhältnisse
recht plausibel. Einer der damals in Nürnberg ansässigen
Maler war Hofmaler Karls IV. - Sebald Weinschroeter,
der moler, unser hofgesind, bürger ze Nüremberg —, der
im Jahr 1360 für nützen und getreuen Dienst vom Kaiser
einen Zehnten zu Röthenbach verliehen bekam und


Textabb. 20. Votivbild des Erzbischofs Johann Ocko von Vlasim.
Prag, Nationalgalerie. Prag, um 1370.

82 Bräutigam, 1961, S. 38-75, und ders., Die Nürnberger Frauen-
kirche. Idee und Herkunft ihrer Architektur, in: FS Peter Metz, Berlin
1965, S. 170-197.
83 Ob die wenigen Reste einer Anbetung der Könige und eines Hl. Rit-
ters im Germanischen Nationalmuseum und im Bamberger Diözesan-
museum Teil der kaiserlichen Fensterstiftung waren, läßt sich entgegen
den Ausführungen von Frenzel, 1962, S. 1-10, nicht mehr entscheiden.
84 Frenzel, Kaiserliche Fensterstiftungen, 1962, S. 11-17; vgl. hierzu
auch Kat. S. 224, Anm. 14.
85 Vgl. Matous, CVMA Tschechoslowakei, 1975, S. 44-49, Farbtaf. I,
Abb. 20-22.
86 Ebenda S. 46, Anm. 10.

87 Für Bestätigung und Konkretisierung der hier angestellten Stilbezüge
habe ich Herrn Dr. Jifi Fajt, Leipzig, herzlich zu danken.
88 Kat. Ausst. Frankfurt 2002.
89 Beispielhaft in den Fresken Giottos und Simone Martinis in San Fran-
cesco in Assisi (vgl. Joachim Poeschke, Die Kirche San Francesco in
Assisi und ihre Wandmalereien, München 1985).
90 Die entscheidenden Vorbilder für das Tabernakelaltärchen der Nürn-
berger Klarissen sind bereits von Schmidt, 1975, S. 53, korrekt benannt
(dort auch ältere Literatur); vgl. ebenso Kemperdick, in: Kat. Ausst.
Frankfurt 2002, S. 39-45.
91 Albert Gümbel, Sebald Weinschroeter, ein Nürnberger Maler Kaiser
Karls IV, in: Repertorium für Kunstwissenschaft 27, 1904, S. 12-23. ■
 
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