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Parello, Daniel; Hess, Daniel
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Marburg und Nordhessen — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 3,3: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.52865#0028

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KUNSTGESCHICHTLICHE EINLEITUNG

In Zeiten des Umbruchs gewinnen Traditionen an Bedeutung. Wir verdanken diesem Phänomen die Entstehung der
modernen Denkmalpflege im 19. Jahrhundert ebenso wie die kuriose Mittelalterbegeisterung des hessischen Land-
grafen Wilhelm I.: Der Landgraf folgte einer allgemeinen Mode unter Adligen, als er sich im Park seiner Wilhelms-
höher Residenz eine romantische Burgruine, die Löwenburg, errichten ließ. Mit ihren altertümlichen und verwilderten
Formen bildete sie einen architektonischen Gegenentwurf zum repräsentativen Schlossbau weiter unten im Park, und
hierhin zog Wilhelm sich zurück, wenn er den Regierungsgeschäften und gesellschaftlichen Zwängen entfliehen woll-
te. Glasmalereien trugen in der Hauptsache zur Steigerung des stimmungsvollen Ambientes bei und hüllten die zur
Burg gehörende Kapelle, von Wilhelm zu Lebzeiten als Begräbnisort bestimmt, in ein farbiges, unwirkliches Licht.
Die Liebhaberei des Vaters ging auf den Sohn über, der sogar seinen Haus- und Staatsarchivdirektor Christoph (von)
Rommel mit der Suche nach weiteren Objekten dieser Art beauftragte1. Aus den Akten lässt sich die Planlosigkeit des
ganzen Unternehmens ersehen; so hat man etwa in Dagobertshausen beim Ausbau der Glasmalereien für das Einset-
zen anderer Fenster nicht gesorgt, wodurch ein der Gesundheit nachtheiliger Luftzug und großes Mißvergnügen in der
Gemeinde entstanden sey2. Zum Verdruss des Landesherrn trafen die Scheiben infolge unsachgemäßer Handhabung
vielfach zerstört in Kassel ein und waren damit als Fenster schmuck unbrauchbar geworden. Gegen diesen Vandalis-
mus musste Rommel, der aufgrund seiner historischen Bildung für den Erhalt von Altertumszeugnissen sensibilisiert
war, Widerspruch einlegen, und es gelang ihm schließlich, Wilhelm II. zu einer Verordnung zum Schutz von öffent-
lichen Kunstwerken und Denkmälern zu bewegen3.
Die Aufwertung historischer Denkmäler kam wenig später der baufälligen Klosterkirche in Haina zugute, deren
Sanierung mit staatlicher Unterstützung in den iSzper-Jahren eingeleitet wurde; der hohe Stellenwert, den die mit-
telalterlichen Glasmalereien schon damals genossen, lässt sich an den eigens erarbeiteten Richtlinien zur Restaurie-
rung ihrer Farbverglasung ermessen. Deren Instandsetzung wurde unter der Prämisse größtmöglicher Bewahrung
und Sicherung der Originalsubstanz durchgeführt und kann als richtungsweisend für nachfolgende Generationen
bezeichnet werden. Zwar gelangten die Pläne zur Veröffentlichung eines reich bebilderten Mappenwerkes nicht über
das Entwurfsstadium hinaus (vgl. Fig. 97-99), doch über die Tätigkeit hessischer Neugotiker wie Georg Gottlob
Ungewitter oder Carl Schäfer wurde dafür in anderen Mappenwerken die Vielfalt erhaltener Ornamentver-
glasungen einem weiteren Kreis von Interessierten bekannt gemacht4. Der in Haina mit den Instandsetzungsmaß-
nahmen betraute Architekt Friedrich Lange hatte sich bereits eingehender mit mittelalterlichen Fertigungstechniken
befasst und konnte nach Abschluss der Arbeiten davon auch im Zusammenhang mit der Wiederherstellung der Glas-
malereien in der Marburger Elisabethkirche profitieren.
Arthur Haseloff, ein ausgewiesener Kenner thüringisch-sächsischer Kunst, nahm deren erneute Restaurierung zu
Beginn des 20. Jahrhunderts zum Anlass, um die Bestände in der Königlichen Glasmalereianstalt in Berlin-Char-
lottenburg genauer unter die Lupe zu nehmen. Die Ergebnisse seiner hierauf gründenden Publikation besitzen noch
heute Gültigkeit5. Überhaupt galt Haseloffs Werk, neben einigen Beiträgen des Marburger Museumsdirektors
Albrecht Kippenberger über Ornamentverglasungen in Marburg und Haina, lange Zeit als die einzige Publikation zu
mittelalterlichen Glasmalereien im nördlichen Hessen von wissenschaftlicher Relevanz6. Aber auch Ludwig Bickell
hat sich dem Gesamtbestand nordhessischer Glasmalerei zu nähern versucht: Bickell projektierte eine groß angelegte
Reihe zu den Bau- und Kunstdenkmälern im Regierungsbezirk Kassel, die das in die Jahre gekommene, jedoch nicht
minder wichtige Denkmälerinventar von Heinrich von Dehn-Rotfelser und Wilhelm Lotz ersetzen sollte7. In den

1 Dolff-Bonekämper 1985, S. 114-126, 353-355.
2 Die Beschwerde der Kirchengemeinde in Dagobertshausen wurde
am 10. Dez. 1824 aktenkundig; vgl. hierzu Reg. Nr. 7.
3 Dolff-Bonekämper 1985, bes. S. 115-117, 356h
4 Siehe etwa Statz/Ungewitter 1856 bzw. 1861 und Schäfer/Ross-
teuscher 1885, die auch Abbildungen von heute verlorenen Glasma-
lereien zeigen. Von Carl Schäfer liegen mehrere Publikationen zur
Glasmalerei vor, darunter auch ein Abriss zur Geschichte der Gattung;
Schäfer 1867, 1873, 1881. Zum Werk Schäfers s. Jutta Schuchard,

Carl Schäfer 1844-1908. Leben und Werk des Architekten der Neugo-
tik, München 1979; zu Ungewitter s. David-Sirocko 1997. - Schon
früher hatte Moller 1822-24 im Rahmen seiner Reihe zu den Denk-
mälern deutscher Baukunst wiederholt Muster mittelalterlicher Orna-
mentscheiben behandelt.
5 Haseloff 1907.
6 Kippenberger 1931, 1934 und 1939; AK Marburg 1932, S. 87L
7 Dehn-Rotfelser/Lotz 1870; Drach 1909, Holtmeyer 1910 und
1923.
 
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