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Parello, Daniel; Hess, Daniel
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Marburg und Nordhessen — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 3,3: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.52865#0070

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ALSFELD • STADTKIRCHE ST. WALPURGIS

Bibliographie: Friedrich Kuhlmann, Die Wiederherstellung der Walpurgiskirche zu Alsfeld, in: FS zur Sieben-
hundertjahr-Feier der Stadt Alsfeld, hrsg. vom Geschichts- und Altertumsverein der Stadt Alsfeld, Alsfeld 1922,
S. 137-149, hier S. 146 (Erwähnung der Restscheibe im Chormittelfenster).
Gegenwärtiger Bestand: In den oberen Zeilen des Chorachsenfensters befindet sich eine einzelne Architektur-
scheibe (Fig. 2, Abb. 1).
Geschichte des Baues: Die der Hl. Walpurgis, einer Missionshelferin des Bonifatius, geweihte Kirche stellt sich als
ein heterogener Bau dar, an welchem die verschiedenen bauerweiternden Maßnahmen im Einzelnen noch gut ablesbar
sind. Anstelle älterer, bis in die vorromanische Zeit zurückreichender Vorgängerbauten wurde in der zweiten Hälfte
des 13. Jahrhunderts ein kurzes dreischiffiges Langhaus mit einem 5/8-Chor in Mittelschiffsbreite errichtet1. Von
diesem Bau sind heute noch Arkadenpfeiler und Teile der Obergadenwände des Langhauses erhalten. Die bescheidene
Anlage genügte offenbar bald nicht mehr den Ansprüchen der durch Handel und Handwerk prosperierenden Stadt:
Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts wurde daher zunächst das basilikale Langhaus durch Vergrößerung der Seiten-
schiffe schrittweise in eine Halle umgewandelt. Anschließend erfolgte nach bauinschriftlichen Hinweisen seit 1393/94
ein Neubau auch von Chor und Turm. Der mächtige Chor überragt heute das niedrige Langhaus beträchtlich; zwar
war auch dessen Neuerrichtung geplant, doch scheint das Vorhaben im 15. Jahrhundert die finanziellen Kräfte der
Stadt überfordert zu haben. So hat man das bestehende Langhaus bis 1472 eingewölbt und schließlich noch einmal im
Jahr 1723 mit der Erhöhung der beiden östlichen Langhausjoche kosmetische Veränderungen vorgenommen, um dem
Baukörper ein insgesamt homogeneres Gepräge zu verleihen.
Geschichte der Verglasung: Wahrscheinlich befand sich schon die Renaissanceorgel aus der Mitte des 16. Jahr-
hunderts auf jener heute noch vorhandenen, im Jahr 1638 noch einmal vergrößerten Orgelempore im Chor. Mit der
dadurch notwendig gewordenen Vermauerung der dreibahnigen Maßwerkfenster in den unteren Bereichen dürften
Teile der ursprünglichen Farbverglasung ausgefallen sein. Schwere Verluste erlitt die Ausstattung im Dreißigjährigen
Krieg: Während der Belagerung der Stadt durch die Niederhessen im Jahr 1646 fiel eine Feuerkugel in den Chor
und zerschmetterte dabei auch beide Orgeln2. Erst im Zuge umfassender Instandsetzungsmaßnahmen in den Jahren
1913-1914 wurde die Restscheibe aller Wahrscheinlichkeit nach in das Achsenfenster versetzt3. Im Zusammenhang mit
der jüngst erfolgten Freilegung der Chorfenster hat man das Glasgemälde in die oberen Zeilen hinaufgerückt und einer
Wabenverglasung vorgehängt. Die von Charles Crodel 1963 geschaffene Neuverglasung der Kirche wurde im Zuge
dieser Renovierungsarbeiten wieder vollständig entfernt.
Erhaltung: Die Glasmalerei ist außenseitig weitgehend von einer deckenden Korrosionsschicht überzogen, von der
lediglich weiße Gläser ausgenommen sind. Der angestückte Kreuzblattkarogrund am oberen Feldrand geht zusammen
mit den Turmspitzen auf eine jüngere Restaurierung zurück. Einige links- und rechtsseitige Blätter im Randstreifen
sind vertauscht. Die Scheibe wurde außenseitig mit mehreren Windstangen versteift.
Rekonstruktion, Komposition, Stil, Datierung: Das Restfeld zeigt einen schlanken, von Maßwerk durchbro-
chenen Turm mit vergleichsweise kurzer Spitze, begleitet von einer Gruppe weniger hoher Fialentürmchen. Angesichts

1 Zur Klärung der Baugeschichte hat Jürgen Michler, Die Wal-
purgiskirche zu Alsfeld, in: FS zur 750-Jahrfeier der Stadt Alsfeld,
hrsg. vom Geschichts- und Museumsverein Alsfeld, Alsfeld 1972,
S. 6 5 -99, einen wichtigen B eitrag geleistet, mit dem er die von Hamann/
Wilhelm-Kästner 1924, S. 55-57, vorgeschlagene Datierung des
Langhauses in die Zeit um 1240 verwarf und den Bau in das letzte
Jahrhundertdrittel setzte. Hamanns und Wilhelm-Kästners Sicht-
weise einer Abhängigkeit Alsfelds vom hypothetischen Basilikaplan

der Marburger Elisabethkirche wurde mit dem Nachweis Michlers,
dass Alsfeld auf den hochgotischen Bautypus mittelrheinischer Mi-
noritenkirchen zurückgeht, hinfällig. Zuletzt: Karl August Mengel,
Die Walpurgiskirche zu Alsfeld. Versuch einer Deutung der Entste-
hungsgeschichte der Alsfelder Hauptkirche, in: Mitteilungen des Ge-
schichts- und Museumsvereins Alsfeld 15, 1994, S. 14-44.
2 Dieter Grossmann, Alsfeld, München/Berlin 1960, S. 18.
3 Zur Restaurierung s. Kuhlmann 1922 (s. Bibi.), S. 137-149.
 
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