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Parello, Daniel; Hess, Daniel
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Marburg und Nordhessen — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 3,3: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.52865#0122

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FRITZLAR • EHEM. CHORHERRENSTIFT ST. PETER

Gegenwärtiger Bestand: Heute befindet sich nur mehr die stark erneuerte Ornamentverglasung der Allerheiligen-
kapelle im Kreuzgang an ihrem ursprünglichen Ort (Fig. 76-81, Abb. 39-41). Ein weiterer Ornamentrest (Fig. 82) und
fünf Figurenfelder aus den südlichen Langhausfenstern (Fig. 83-88, Abb. 44-50) wurden im letzten Jahrhundert in das
1912 gegründete Dommuseum überführt1. Da deren ehemaliger Standort nicht mit Sicherheit bestimmt werden kann,
sind diese unter den Museumsbeständen behandelt.
Geschichte des Baues und seiner Verglasung: Als der angelsächsische Missionar Bonifatius im Jahre 724 eine
Kirche in Fritzlar gründete, hatte dort offenbar bereits eine merowingische Ansiedlung bestanden. Infolge der Zerstö-
rung des Ortes durch die Sachsen im Jahr 774 wurde die Benediktinerabtei dem König übertragen. Der Bau einer karo-
lingischen Pfalz westlich der späteren Stiftskirche zeugt von der einstigen Bedeutung des Ortes, an dem Königswahlen
und Reichsversammlungen stattfanden. Fritzlar entwickelte sich in hochmittelalterlicher Zeit zu einem bedeutenden
geistlichen und wissenschaftlichen Zentrum im hessischen Raum. Die Stadt und das mittlerweile in ein Kollegiatsstift
umgewandelte Kloster gelangten bereits unter Heinrich IV. an das Erzbistum Mainz. In Heinrichs Kampf mit dem
Gegenkönig Rudolf von Schwaben wurden Stadt und Kloster 1079 erneut zerstört, aber in der Folge zum dauerhaften
mainzischen Vorposten gegen die territorialen Bestrebungen der thüringischen Landgrafen ausgebaut. Obwohl im
Jahr 1232 die Stadt und die kurz zuvor errichtete erzbischöfliche Burg durch Konrad von Thüringen ein weiteres Mal
vernichtet wurden und die Landgrafen 1427 die Schirmherrschaft über das mainzische Territorium in Hessen über-
nahmen, hielt sich Fritzlar als mainzische Enklave bis zur Aufhebung des Stifts im Jahr 1803. Fortan diente der Bau
der katholischen Bevölkerung als Pfarrkirche; 1992 hielt mit der Gründung eines Prämonstratenser-Priorats erneut
das Klosterleben Einzug.
Nach der Bonifatiusvita soll der Missionar im benachbarten Geismar die Donar-Eiche einer heidnischen Kultstätte
zum Bau eines Oratoriums verwendet haben; die Kapelle sei dann um das Jahr 732 von seinem Mitbruder Wigbert
zu einer Klosteranlage erweitert worden2. Die frühesten archäologischen Zeugnisse stammen allerdings erst aus dem
11. Jahrhundert. Nach der Zerstörung der Stadt durch Rudolf von Schwaben 1079 wurde die Kirche als dreischiffige
flachgedeckte Basilika mit westlichem Querbau in der Größe der heutigen Anlage wiedererrichtet. Hiervon haben sich
Querschiffmauern, die Kryptenanlage, Teile der nördlichen Seitenschiffswand sowie die beiden Untergeschosse des
Westbaus erhalten. Der offenbar schlechte bauliche Zustand machte seit 1180 Umbauten notwendig; zunächst wurde
der Chor nach Wormser Vorbild erneuert, anschließend erfolgte der Ausbau der westlichen Zweiturmanlage (Fig.
72E). In die ersten Jahrzehnte des 13. Jahrhunderts fällt der Neubau des sich am gebundenen System orientierenden
Langhauses; erst im folgenden Jahrhundert wurde es um ein weiteres Seitenschiff nach Süden erweitert. In die gleiche
Zeit datiert auch der Kreuzgang (Fig. 75). Neben der 1330 erstmals urkundlich erwähnten Allerheiligenkapelle befin-
det sich dort noch heute die vor 1365 gestiftete Philippus-Jakobus-Kapelle; hingegen hat man die im Jahr 1513 in den
Kreuzgang gestiftete Salvatorkapelle des Scholasters Hermann Hankrat bereits 1756 abgebrochen.
Zur besseren Beleuchtung der älteren Ostteile brach man zu verschiedenen Zeiten größere Fensteröffnungen in Quer-
hausstirnwände (Nordquerhaus 2. Hälfte des 13. Jahrhundert, Südquerhaus 14. Jahrhundert) und Chor (15. Jahrhun-
dert) ein. Eine umfassende Barockisierung des Chorbereichs erfolgte im ausgehenden 17. Jahrhundert. Um die Mitte
des 19. Jahrhunderts ließ man zunächst die Marienkapelle am nördlichen Querarm durch den Neugotiker Johann
Gottlob Ungewitter wiederherstellen3. Nach dem Einsturz des südlichen Turmhelms, durch den auch das westli-
che Mittelschiffsgewölbe einbrach, erfolgte 1873 eine Rekonstruktion der Turmhelme durch Carl Schäfer. Die noch
gänzlich puristischen Vorstellungen gehorchende Wiederherstellung des Kreuzgangs im Jahr 1871 wurde für den
Kirchenbau glücklicherweise verworfen, zu dessen Charakteristika gerade auch die an Architektur und Ausstattung

1 Darüber hinaus befinden sich im Dommuseum zwei weitere Wap-
penscheiben aus nachmittelalterlicher Zeit, das Mainzer Bischofswap-
pen Daniel Brendels von Homburg (1555-1584) aus dem Jahr 1564 so-
wie das Wappen des Fritzlarer Dechanten Georg Doeren von 1584; vgl.
Drach 1909, S. 44L, Niederquell 1974, S. 88f., Nr. 145 (mit Abb.).

2 Zur Deutung der Grabungsfunde und zur Geschichte des Baus sie-
he jetzt Rainer Humbach, Dom zu Fritzlar. Mit einem Dokumentati-
onsanhang von Burghard Preusler, Katharina Thiersch und Ulrich
Knapp, Petersberg 2005.
3 Vgl. David-Sirocko 1997, S. 293-297.
 
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