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Parello, Daniel; Hess, Daniel
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Marburg und Nordhessen — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 3,3: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.52865#0135

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GENSUNGEN • PFARRKIRCHE

Bibliographie: Rudolf Heussner, Chronik des Ortes Gensungen, Kassel 1911, S. 79 (datiert die Petrusscheibe an
den Anfang des 16. Jh. und vermutet weitere Apostelbilder).
Gegenwärtiger Bestand: Im Oberlicht des modernen Windfangs am Nordeingang der Kirche befindet sich eine
kleine Rechteckscheibe mit der Darstellung des Apostels Petrus (Fig. 89L, Abb. 51).
Geschichte des Baues: Die evangelische Pfarrkirche zu Gensungen gehört zur Gruppe der sogenannten Wehr-
kirchen. Auf dem oberhalb der Siedlung befindlichen Kirchengelände haben sich noch Reste der alten Ringmauer
erhalten. Die benachbarte Stadt Felsberg unterstand zusammen mit den umliegenden Siedlungen dem Fritzlarer Stift
und damit dem Mainzer Erzstift. Der Grenzverlauf zur hessischen Landgrafschaft war auch wegen der strategisch
wichtigen Lage - von der Werra kommend verlief die Salzstraße durch Felsberg in Richtung Rheinland - stets stark
gesichert.
Schon der Ortsname weist auf eine Gründung in vorfränkischer Zeit, an der wahrscheinlich auch ein Zehntgericht
bestand1. Die Anfänge der dem Hl. Petrus geweihten Kirche gehen möglicherweise bis auf die Zeit der Missionierung
zurück; damals soll vom Bistum Büraberg oder dessen Missionskloster Fritzlar aus eine Taufkirche errichtet worden
sein. Bereits vor 1085 befand sich die Kirche von Gensungen im Besitz des Fritzlarer Stifts, dem noch 1536 das Patronat
zustand, danach zog der hessische Landgraf dieses Recht an sich. Vom mittelalterlichen Bau selbst steht nur noch der
Westturm, dessen Glocken in das Jahr 1501 datieren. Eine umfassende Renovierung fand im Jahr 1728 statt, allerdings
wurde die Kirche 1824 bis auf den Turm abgetragen und als schlichter klassizistischer Saalbau mit herumlaufenden
Emporen wiedererrichtet.
Geschichte der Verglasung: Die heutige Präsentation der Petrusscheibe mit darüberliegendem vierzackigen Stern
scheint noch auf die Zeit des Kirchenneubaus von 1824 zurückzugehen. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird das Glas-
gemälde damals aus dem Vorgängerbau übernommen worden sein. Zu späteren Restaurierungsmaßnahmen fanden
sich keine Unterlagen, doch lassen sich die in Kathedralglas ausgeführten Ergänzungen vielleicht auf das letzte Drittel
des 19. Jahrhunderts fixieren.
Erhaltung: Die Schwarzlotbemalung ist überraschend gut erhalten, Konturlinien und Halbtonüberzüge sind unver-
sehrt und haften fest auf dem Glasträger. Der Monolith selbst ist mehrfach gesprungen und mit schmalen Notbleien
versehen. Einige Glasstücke in den Randstreifen sind ergänzt worden.
Rekonstruktion, ikonographisches Programm: Man wird kaum davon ausgehen können, dass die bescheidenen
Fensteröffnungen kleiner Landkirchen immer vollständig mit Glasmalereien ausgestattet waren. Die Buntverglasung
war hier vielleicht häufiger bloß auf das Hauptfenster hinter dem Altarplatz beschränkt. Ob sich daher zur Petrus-
scheibe einst weitere Heilige oder sogar ein ganzes Apostelkollegium hinzugesellten, darf bezweifelt werden, zumal
mit dem Apostelfürsten bereits der Kirchenpatron selbst vertreten ist und sein Abbild plakativ die Zugehörigkeit der
Kirche zum Fritzlarer Petersstift unterstrich.
Farbigkeit, Technik, Stil, Datierung: Die Petrusfigur ist in klassischer Grisaille ausgeführt; lediglich ihr Attribut,
der Schlüssel, sowie der Nimbus sind mit orangetonigem Silbergelb farblich akzentuiert. Mit den ursprünglich zuge-
hörigen, orangefarbenen Randstreifen fügt sich die Komposition zu einem harmonischen Gesamtbild. Der Glasmaler
hat Konturlinien wie Halbtöne in unterschiedlicher Farbdichte aufgetragen und die Lichter mit Pinsel und Federkiel
recht fahrig herausradiert. Diese Art der Modellierung gelangt aber im Gesicht zu voller Wirkung. Die zeichnerische
Ausführung, wie etwa die Formung der Faltenhügel und -täler mit parallel angelegten Schraffuren oder die kasten-
artige Hintergrundgestaltung lassen wie in Eschenstruth (siehe S. 104-106) an eine Verwendung druckgraphischer
Vorlagen denken. Von der Größe des Monolithen her wäre die Graphik sogar im Originalmaßstab als Karton nutzbar
 
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