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KUNSTGESCHICHTLICHE EINLEITUNG
stifts rechnen konnten. An einem Beispiel sei dies veranschaulicht: Nachdem die Schauenburger ihre Kaufunger Vogtei
an ein mit dem Landgrafen verbundenes Geschlecht verloren hatten, traten sie als Lehensleute in den Dienst der Main-
zer Erzbischöfe und erhielten die Schirmvogtei über das 1143 gegründete Kloster Weißenstein bei Kassel. Dem setzte
Landgräfin Hedwig die Gründung des Klosters Ahnaberg entgegen18. Die Mainzer Erzbischöfe, die über die größte
Kirchenprovinz nördlich der Alpen verfügten, zählten über Jahrhunderte hinweg zu den mächtigsten Gegenspielern
der Landgrafen. Seit Erzbischof Adalbert I. (reg. nn-1137) war man im nordhessischen Raum um den Aufbau eines
geschlossenen Territoriums bemüht. Klöster, Stifte und Städte gehörten zu den Mainzer Stützpunkten, die sich wie
ein Riegel durch hessisches Gebiet zogen. Allerdings kam den Thüringern im Kampf um die Vorherrschaft in Hessen
zugute, dass sie als enge Gefolgsleute der Staufer durch die königliche Gewalt gestützt wurden. Zudem bestanden
über die Gemahlin Landgraf Ludwigs IE, Jutta, einer Halbschwester Friedrichs I. Barbarossa, auch verwandtschaft-
liche Bande zum Königshaus. Nachdem Herzog Heinrich der Löwe 1180 zu Fall gebracht worden war, ging das neu
gegründete Herzogtum Westfalen an Köln; den östlichen Teil jenseits der Weser erhielt der Askanier Bernhard, die
Grafschaften an der Leine und Werra fielen an den Landgrafen Ludwig III. Doch gingen die rheinischen Besitzungen
1197 an das Kölner Erzbistum verloren, womit die Möglichkeit einer Vergrößerung der thüringischen Herrschaft bis
an den Rhein aufgegeben werden musste. Zwischen 1190 und 1240 kam es zu einer Reihe von Städtegründungen, die
als Zentren der Territorialverwaltung und wirtschaftliche Stützpunkte die neu gewonnenen Gebiete zu festigen und
zu organisieren halfen19; hierzu zählen u.a. die in unserem Zusammenhang wichtigen Städte Grünberg, Alsfeld, Fran-
kenberg und Kassel. Allem voran ging der Ausbau Marburgs als Stützpunkt gegen die Mainzer Expansionsbestrebun-
gen im Amöneburger Becken. Obschon erstmals 1138/39 urkundlich erwähnt, scheint die Burganlage neuesten archäo-
logischen Erkenntnissen zufolge bis auf die
Konradiner zurückzugehen, die dort in karo-
lingischer Zeit eine Höhenburg zum Schutz
der westlich vorbeiziehenden Weinstraße
errichten ließen20. Das Vorhaben der thürin-
gischen Landgrafen stand in Konkurrenz zu
Wetter, das an verkehrsstrategisch günsti-
ger Stelle an der Weinstraße lag und dessen
rechtshistorisch bedeutsames Stadtrecht von
1239 wohl noch in das 11. Jahrhundert zu-
rückreichte. Bedeutende Gebietszuwächse
erfuhren die Thüringer schließlich durch die
Heirat Friedrichs von Ziegenhain (f 1229),
dem dritten Sohn Landgraf Ludwigs II., mit
Lukardis, einer Tochter des Grafen Gozmar
von Ziegenhain-Reichenbach und durch die
Übertragung der Lehenshoheit über die Wes-
taramark entlang der unteren Werra, wodurch
die thüringischen und hessischen Gebiete nun
zusammenwuchsen. Imjahr 1214/15 gelang es
allerdings dem Mainzer Erzstift, seine terri-
torialpolitische Stellung in Hessen zu stär-
ken, indem es die ziegenhainsche Klosterstif-
tung Haina unter seine Herrschaft zu bringen
vermochte.
Die territorialen Zugewinne der Ludowinger
stießen in Mainz auf wenig Gegenliebe. Die
Textabb. 1. Sängerkrieg am Hof des Landgrafen Her-
mann I. von Thüringen. Codex Manesse, Heidelberg,
Universitätsbibliothek, cpg 848, fol. 219V. Zürich(?),
um 1310/15.
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stifts rechnen konnten. An einem Beispiel sei dies veranschaulicht: Nachdem die Schauenburger ihre Kaufunger Vogtei
an ein mit dem Landgrafen verbundenes Geschlecht verloren hatten, traten sie als Lehensleute in den Dienst der Main-
zer Erzbischöfe und erhielten die Schirmvogtei über das 1143 gegründete Kloster Weißenstein bei Kassel. Dem setzte
Landgräfin Hedwig die Gründung des Klosters Ahnaberg entgegen18. Die Mainzer Erzbischöfe, die über die größte
Kirchenprovinz nördlich der Alpen verfügten, zählten über Jahrhunderte hinweg zu den mächtigsten Gegenspielern
der Landgrafen. Seit Erzbischof Adalbert I. (reg. nn-1137) war man im nordhessischen Raum um den Aufbau eines
geschlossenen Territoriums bemüht. Klöster, Stifte und Städte gehörten zu den Mainzer Stützpunkten, die sich wie
ein Riegel durch hessisches Gebiet zogen. Allerdings kam den Thüringern im Kampf um die Vorherrschaft in Hessen
zugute, dass sie als enge Gefolgsleute der Staufer durch die königliche Gewalt gestützt wurden. Zudem bestanden
über die Gemahlin Landgraf Ludwigs IE, Jutta, einer Halbschwester Friedrichs I. Barbarossa, auch verwandtschaft-
liche Bande zum Königshaus. Nachdem Herzog Heinrich der Löwe 1180 zu Fall gebracht worden war, ging das neu
gegründete Herzogtum Westfalen an Köln; den östlichen Teil jenseits der Weser erhielt der Askanier Bernhard, die
Grafschaften an der Leine und Werra fielen an den Landgrafen Ludwig III. Doch gingen die rheinischen Besitzungen
1197 an das Kölner Erzbistum verloren, womit die Möglichkeit einer Vergrößerung der thüringischen Herrschaft bis
an den Rhein aufgegeben werden musste. Zwischen 1190 und 1240 kam es zu einer Reihe von Städtegründungen, die
als Zentren der Territorialverwaltung und wirtschaftliche Stützpunkte die neu gewonnenen Gebiete zu festigen und
zu organisieren halfen19; hierzu zählen u.a. die in unserem Zusammenhang wichtigen Städte Grünberg, Alsfeld, Fran-
kenberg und Kassel. Allem voran ging der Ausbau Marburgs als Stützpunkt gegen die Mainzer Expansionsbestrebun-
gen im Amöneburger Becken. Obschon erstmals 1138/39 urkundlich erwähnt, scheint die Burganlage neuesten archäo-
logischen Erkenntnissen zufolge bis auf die
Konradiner zurückzugehen, die dort in karo-
lingischer Zeit eine Höhenburg zum Schutz
der westlich vorbeiziehenden Weinstraße
errichten ließen20. Das Vorhaben der thürin-
gischen Landgrafen stand in Konkurrenz zu
Wetter, das an verkehrsstrategisch günsti-
ger Stelle an der Weinstraße lag und dessen
rechtshistorisch bedeutsames Stadtrecht von
1239 wohl noch in das 11. Jahrhundert zu-
rückreichte. Bedeutende Gebietszuwächse
erfuhren die Thüringer schließlich durch die
Heirat Friedrichs von Ziegenhain (f 1229),
dem dritten Sohn Landgraf Ludwigs II., mit
Lukardis, einer Tochter des Grafen Gozmar
von Ziegenhain-Reichenbach und durch die
Übertragung der Lehenshoheit über die Wes-
taramark entlang der unteren Werra, wodurch
die thüringischen und hessischen Gebiete nun
zusammenwuchsen. Imjahr 1214/15 gelang es
allerdings dem Mainzer Erzstift, seine terri-
torialpolitische Stellung in Hessen zu stär-
ken, indem es die ziegenhainsche Klosterstif-
tung Haina unter seine Herrschaft zu bringen
vermochte.
Die territorialen Zugewinne der Ludowinger
stießen in Mainz auf wenig Gegenliebe. Die
Textabb. 1. Sängerkrieg am Hof des Landgrafen Her-
mann I. von Thüringen. Codex Manesse, Heidelberg,
Universitätsbibliothek, cpg 848, fol. 219V. Zürich(?),
um 1310/15.