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Parello, Daniel; Hess, Daniel
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Marburg und Nordhessen — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 3,3: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.52865#0113

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I 12

FRANKENBERG • LIEBFRAUENKIRCHE



Fig. 53. Dornenkrönung. Frankenberg, Liebfrauenkirche,
Chor n II, ic. - Kat. S. n6f.

Fig. 54. Noli me tangere. Frankenberg, Liebfrauenkirche,
Chor I, ic. - Kat. S. 118.

Nordhessen, um 1350/60.

dass die Kommenden sie an Weisheit überträfen, macht letztere Annahme wahrscheinlich (Abb. 37). Um ein solches
Thema jedoch bildlich auszubreiten, ist eine dreibahnige Fensterteilung, wie sie einzig die Choröffnungen zeigen,
zwingend vorauszusetzen. Formale und stilistische Übereinstimmungen mit dem Christuszyklus, den wir im Chor
lokalisieren wollen, legen darüber hinaus eine Zusammengehörigkeit beider Gruppen nahe14. Die Höhe der Fenster-
öffnung erlaubt neben der thronenden Maria zwischen Tugenden und Personifikationen (eventuell unter Architek-
turbaldachinen) die Aufnahme weiterer typologischer Entsprechungen zum sedes sapientiae, wie etwa König Salomo,
vielleicht auch eine Kreuzigungsdarstellung, flankiert von weiteren Propheten oder Tugenden. Die hier vorgeschla-
gene Figurenanordnung findet sich etwa in einer oberösterreichischen Armenbibel aus der Zeit um 1320/30 (Fig. 55)15.
Der Thron Salomonis entwickelte sich, ausgehend von der überragenden Lösung für die Westfassade des Straßburger
Münsters, vom frühen 14. Jahrhundert an aufgrund der attraktiven architektonischen Gestaltungsmöglichkeiten auch
in der Glasmalerei zu einem bevorzugten Bildmotiv16. Als ein Parallelbeispiel für Frankenberg ist auf die etwa gleich-
zeitig entstandene Verglasung der Arnsteiner Prämonstratenserkirche hinzuweisen.

14 Theoretisch wäre zwar auch eine zeilenweise Anordnung von Fi-
gurenpaaren in einem zweibahnigen Querhausfenster denkbar, in
welcher der linken, ausschließlich mit Sibyllen gefüllten Bahn eine
entsprechende Reihe von alttestamentlichen Propheten gegenüber
gestanden hätte. Eine Mariendarstellung mit Kind in den Lanzett-
spitzen oder im Maßwerk könnte eine solche Komposition nach oben
abgeschlossen haben. Hier wäre allerdings zu fragen, ob in Anknüp-
fung an das augenfällige »landesherrliche« Zitat der Marburger Eli-
sabethkirche in Lang- und Querhaus vielleicht auch die Fensteraus-
stattung formale Marburger Eigenheiten reflektierte: Denn das aus

einer der beiden Konchen stammende Jungfrauenfenster in Marburg
zeigt bereits eine vergleichbar ungewöhnliche Figurenanordnung von
Klugen und Törichten Jungfrauen (vgl. S. 379-382). Die von Marburg
her vorgegebene Zweibahnigkeit der Fensterformen, die auch für den
ersten Bauabschnitt in Frankenberg verbindlich blieb, hätte dann den
Glasmalern - trotz des eingetretenen Fortschritts in der Entwicklung
bahnübergreifender Bildsysteme in mehrbahnigen Fenstern - die Ent-
scheidung für eine solch altertümliche Kompositionsform erleichtert.
Was die Architektur betrifft, so hat bereits Auer (wie Anm. 6), 1983,
S. 112, die Nähe der Frankenberger Liebfrauenkirche zur Marburger
 
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