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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,4.1917

DOI Heft:
Heft 19 (1. Juliheft 1917)
DOI Artikel:
Gurlitt, Cornelius: Deutsche und französische Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.14298#0028

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tapfer gegen die Ehre verteidigt hatte, durch Ludwig XIV. für Frankreich
erobert zu werden.

Aber das alles stört Mäle nicht: Franzose und französisch ist, was sich
seit Iahrhunderten innerhalb der Grenzen Frankreichs von heute be«
wcgt, besser innerhalb der Grenzen vor isc'i oder des Napoleonischen
Reiches.

Wenn man sich also mit Mäle und seinen Anhängern auseinander-
setzen will, so müßte man erst einmal fragen: Was ist „germanisch"? und
Was ist — ja, wie sage ich nun — gallisch? lateinisch? sranzösisch?

Wir haben es hier nicht mit den heutigen Verhältnissen zu
tun, sondern mit geschichtlichen Fragen. Da können wir, wenn
wir in die Völkerwanderungszeit zurückgreifen, doch nicht die Germanen
den Franzosen gegenüberstellen. Denn diese gab's damals noch nicht.
Sind die heutigen Franzosen noch Gallier? Man liest so viel vom
esprit gaulois, wenn es gerade mit diesem sich zu rühmen gilt. Dem-
nach gehören die Franzosen zu den Kelten, d. h. einer Nation an,
deren Kunst man mit der Laterne suchen muß. Oder sind sie, wie
sie so gern sich rühmen, wenn es ihnen in den Kram paßt, Lateiner, also
Abkömmlinge von Rom, von Latium? Das glauben sie trotz ihrer Sprache
wohl selbst nicht. Wohl sind römische Soldaten in Gallien angesiedelt
worden, aber keine Römer, sondern Germanen, Syrer usw. Wohl
haben römische Beamte das Land verwaltet, ist die Mehrheit des Volkes
zur lateinischen Mundart hinübergeführt worden, hat sie römische Kunst
bei sich entstehen sehen — aber sie blieben Gallier trotz des sremden
Kulturfirnisses. And es hilft ihnen nichts, wenn sie gewisse Leistungen
für sich ansprechen: Sie waren Äachahmer fremden Wesens geworden.

Oder sind sie Franken? Line gewaltige Wandlung ihrer Volksart
vollzog sich unter germanischer Einwanderung. Schon Cäsar bemerkte diese
in jenen Gebieten, die er Belgien nannte. Noch heute nennen sich die
latinisierten Gallier Fran^ais, nach dem deutschen Volksstamm der Fran-
ken, denr ersten, der ihnen einen fest gegliederten Staat gab, nachdem sie
durch Iahrhunderte Provinz, politisch und geistig abhängig von dem
Neiche gewesen waren, das ihr Land eroberte, ihr Volkstum bis zur
Ausgabe der eigenen Sprache unterdrückte. Nun waren die Germanen
ihre tzerren, und blieben ihre tzerren auch, als diese die lateinische Sprache
angenommen Hatten, bis zur großen Revolution: denn der französische
Adel in Land und SLädt, das war das rein erhaltene Germanenblut.

Ein Mischvolk also von bunter Zusammensetzung hat fremde Kulturen
in sich verarbeitet, die aus den wertvollsten Teilen des Einschlages sich
ergaben. So gut wie nichts ist an ihm original. In der Kunst, die das
heutige Frankreich im Laufe der Iahrhunderte schuf, kann man eines
beobachten: der Grundstamm, die Kelten, sind kunstarm gewesen und
gebliebeN) sind es heute noch. Kunst in Frankreich machte der griechisch
befruchtete Süden, der fränkisch und normännisch befruchtete Nordosten
und Borden, der burgundisch und lothringisch befruchtete Osten. Denn
die Burgunder waren Goten, die Lothringer Rheinfranken. Wohin diese
Germanen kamen, dort entstand junge Kunst; sie siedelten sich in den
Städten an, Syrier und Germanen waren die leitenden Bischöfe, das
Patriziat der Städte germanischen Blutes. So auch in den Königs-
städten an der Seine und Loire, dem Zusammenfluß der geistigen Kräfte
aus dem Osten inmitten der unfruchtbaren gallischen Welt. Was die

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