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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,4.1917

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Heft 19 (1. Juliheft 1917)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14298#0062

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drucksveränderungen bemerkbar. Dre
Muskeln unseres Körpers befinden
srch gewöhnlich — selbst in der Ruhe
des Wachenden — in einer gewissen,
sozusagen erwartenden Spannung.
Wrrd der Körper nun stark bewegt,
so ergreift die Erschöpfung nrcht
nur die am meisten bewegten Mus-
keln, sondern auch andere mehr oder
minder, und ihre Erschlaffung gibt
dem Körper und Gesicht auch noch
einen anderen Ausdruck.

Diese verschiedenen Wirkungen
treten in ganz verschiedenem Grade
und Wechsel bei starken und erschöp-
fenden Anstrengungen auf, oft alle
zusammen. Sie sind nicht älle na-
türlich, zum Beispiel nicht die durch
mangelnde Abung verursachten, aber
im übrigen gehören sie untrenn-
bar zur heftigen Anstrengung. Das
fühlt auch der Sportgegner, wenn
man ihm das Bild eines galoppie-
renden Pferdes zur Beurteilung vor-
legt. Hier hält er schäumendes
Maul, geblähte Nüstern, aufgeris-
sene Augenlider, geschwollene Adern
für natürlich, selbstverständlich, schön.
Warum? Weil er es gewohnt ist
und kein Maler ein galoppierendes
Pferd mit einem ruhigen Gesicht malt.

Die ungeschickten Bewegungen
wirken störend, komisch und dadurch
häßlich, die anderen ^Verzerrungen^,
durch Aberfluten der Nervener-
regung, durch tzerbeiziehung der
tzilfsmuskeln, durch Affekt, durch
Erschöpfung, die bis zu einem ge-
wissen Grade zur Anstrengung ge-
hören, sind natürlich und wirken in
ihrer Art auch schön. Wer selbst
an der Stählung und Beherrschung
seines Körpers gearbeitet hat, der
kann sich gar nicht denken, daß ein
Läufer bei schwerem Wettbewerb mit
dem heiter lächelnden Gesicht, das
er beim Mahle zeigt, oder mit den
ruhigen Zügen, die er beim Lesen
eines Buches annimmt, durchs Ziel
rasen könnte. Ihm bieten die für
andere vielleicht abstoßenden Ge-

sichter der hier abgebildeten Mac
Kenzieschen Läuferbüsten ebenso
Schönheit wie andere Kunstwerke,
wie zum Beispiel das Bild eines
feurig schnaubenden Rosses dem
Durchs chnittskunstliebhaber.

Eine andere Frage ist es aller-
dings, ob diese erschöpfenden An-
strengungen nicht übertrieben sind
und als solche unschön, abstoßend.
Aber warum sollten wir uns immer
nur an leichter, spielender Betäti-
gung erfreuen und nicht im Voll-
gefühl unserer Kraft gelegentlich un-
sere Befriedigung darin suchen, sie
bis an die Grenze der Leistungs-
fähigkeit auszudehnen?

Das Bestreben, alle Nebenbe-
wegungen bei der Leibesübung zu
beherrschen und zu unterdrücken, führt
sogar zu Häßlichkeiten. Die Rekruten-
driller und manche Vorturner erzie-
len damit ja manches Gute, aber
auch manches Anschöne: ruckartige,
krampfartige Bewegung, steife tzal-
tung, hölzernen Gesichtsausdruck, und
die passen gar nicht zu dem frischen,
frohen, freien Geist des Iahnschen
Turnens. Noch Schlimmeres er-
zeugt das Bestreben, auf die Unter-
drückung der Anstrengung noch einen
Ausdruck der Leichtigkeit, des Ver-
gnügens hinaufzusetzen, wie es viel-
fach die Zirkuskünstler mit ihrem
festgeleimten Lächeln und ihrem
wohlabgewickelten Zuwinken ver-
suchen.

Daß das Nichtige hier wirklich
einmal in der Mitte liegt, wird von
den fortschrittlichen Sportkreisen all-
mählich erkannt. Man hält jetzt
mehr auf „guten Stil^, wo man
früher dem Grundsatz huldigte, mehr
auf die Leistung als auf die Art
der Durchführung zu geben.

Natürlich muß es stets und über-
all unser Streben sein, die Neben-
bewegungen — auch die durch Affekte
bewirkten — möglichst im Zaum zu
halten und die Anstrengung mehr
^spielend^ beherrschen zu lernen.
 
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