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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,4.1917

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Heft 20 (2. Juliheft 1917)
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Palestrina: musikalische Legende von Hans Pfitzner
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https://doi.org/10.11588/diglit.14298#0081

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sich Meister nennen kann, fängt es mit dem „Hosiannah" an nnd endigt
mit dem „Kreuzige" ; der Andere wird, von Steinwürfen wund, zum Schlrch
unter Rosen und Lorbeer begraben. Pfihner wendet sich, gleichwie seinem
„Palestrina", in späteren Tagen die Gunst der breiteren Öffentlichkeit zu.
Bleibr er hinter dem Vorhang, wenn solche, die ehedem an ihm gleich-
gültig oder zähnebleckend vorbeihasteten, ihm jetzt zujubeln? O nein.
Er tritt vor die Rampe, Hand in tzand mit einem braven Komödianten,
und macht vor denen, die eine Offenbarung mit brutalem Beifallslärm
guittieren, seinen gehorsamen Diener, nachdem er die erschütterndste Vision
vor uns aufsteigen ließ, nachdem er dem Rauhhäutigsten Tränen entlockte.
Was beweist das? Zwei Seelen wohnen, ach, in der Brust des welt-
flüchtig Erhabenen. Ist es Ketzerei, die Vermutung auszusprechen, daß
auch der fromme Fra Angelico schmunzelte, so man ihn ob eines wohl-
gelungenen Engelkonzertes pries, und daß selbft der wunschlose tzeilige
von Assisi in wohlgesetzt freundlichen Worten dankte, wenn ihm umbrische
oder florentinische Kommerzienräte und andere Spitzbuben des ^3. Iahr-
hunderts zu einer besonders herzbeweglichen Predigt ihre Glückwünsche
darbrachten?

Gratulieren wir Pfitzner. Er schenkte uns mit dem ersten Aufzuge
seines „Palestrina" ein tiefgründiges Myfterium, indem er das Wunder
der glorienumwobenen Entstehung der Marcellusmesse aus der Seelen-
not des mit inneren und äußeren Gewalten ringenden Künstlers hervor-
blühen ließ. Im zweiten entwirft er, als Gegenstück der faustischen Klause,
des sich zu den Sternen Emporschwingenden, in einem Ausschnitt aus dem
Tridentiner Konzil ein Bild der geschäftigen, stets betrügenden, stets betro-
genen Welt. Mit dem Blick des nachschaffenden tzistorikers leuchtet er in
alle Tiefen und Schlupfwinkel des Ehrgeizes und des fanatischen Macht-
willens hinein und entwirft eine fast unübersehbare Reihe geistreich auf-
gefaßter, lebensprühender Prälatenköpfe: die mit tzerzblut geschriebene
Messe treibt als Spielball auf den Wogen hochschwellender, kochender
Leidenschaften. Techniken Shakespeares, Kleists und des Wagners der „Mei-
stersinger" gleiten durcheinander. Die Endszene, ein in tobenden, blut-
überquellenden Aufruhr ausartender Streit der Diener spanischer und ita-
lienischer Eminenzen, wächst sich, als parodistische Verzerrung des voran-
gegangenen Kampfes der Geister, zu einem tzöllenbrueghel aus. Leider
bei nüchternem Tageslicht, nicht in der Rachtstimmung flackernder Fackeln.
So verliert das Dämonische an poetischer Glaubwürdigkeit, und die nero-
nische Anwandlung des Eichendorff-Nachfahren begegnet einem leis un-
gläubigeu Lächeln. — Ein knappes, beinahe allzu knappes Nachspiel zim-
mert einen schwanken Steg von der Welt zum Ienseits des Genius. Un-
gefähr wie die nur äußerlich beruhigenden letzten Verse des Goetheschen
„Tasso". Die Gegensätze bleiben unverträglich.

Untereinander sind die drei Akte nicht allzu fest vernietet. Das Legen-
darische und das historisch Empfundene prallen aufeinander. Gewiß
lebt die Bühne von Gegensätzen: Schulbeispiel Gralstempel und Klingsors
Zaubergarten. Aber diese Gegensätze müssen durch eine starke Theater-
faust zusammengeschweißt werden: Pfitzner, obwohl ein schlagfertiger, ziel-
sicherer Spielleiter, ist als Schöpferischer nicht unbekümmert genug, man
fühlt sich versucht, zu sagen: zu reinlichkeitsliebend für das tzantieren mit
den Leidenschaften und Leimtöpfen der Bretter. Zu sehr verehrungswürdiger
Esoteriker. Und der im schönsten Sinne des Wortes keusche Musiker steht

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