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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,4.1917

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Heft 20 (2. Juliheft 1917)
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Palestrina: musikalische Legende von Hans Pfitzner
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https://doi.org/10.11588/diglit.14298#0082

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dem aus gradvorftoßendes DraufgängerLum angewiesenen Dramatiker im
Wege. Doch was hat uns dieser Musiker aus der Fülle seiner Traum--
gesichte nicht alles zu erzählen! Freilich erwartet er, daß wir ihm entgegen-
gehen. In den gotisch herben, oft verzackten Führungen seines Melos
gemahnt er an alte deutsche Holzbildner und Graphiker. Mit zwei sich
aneinander schließenden Szenen nähert er sich dem von Erdenglück und
Lrdenschmerz Abschied nehmenden, transzendentalen Beethoven: mit der
der Erscheinungen von Palestrinas Vorgängern, den alten Meistern, die
den Schaffensmüden zur Lrfüllung seiner höchsten Lebensaufgabe drängen,
und mit der der Engel, die ihm die Leitgedanken der Messe zusingen.
Hier ist Vollendung. Wir vergessen, daß die Meister die Szene
mit der Chorestrade des Oratoriums verwechseln, und daß sich Gespenster,
nach Lessing, auf der Bühne nicht häuslich einrichten sollen.^

Schlußfrage: wie steht der „Palestrina" zu den ihm voraufgegangenen
dem Theater zugeeigneten tzauptwerken Pfitzners, dem „Armen Heinrich"
und der „Rose vom Liebesgarten" ? Anstreitig ist er> alles in allem ge-
nommen, unter ihnen das durchgeistigtste, abgeklärteste Kunstwerk. Aber
er scheint mir die Persönlichkeit des Neutöners Pfitzner minder stark zu
reflektieren. Der Linfall, bei dem es uns wohlig überrieselt, die Schön-
heit, die uns überströmt, die überraschende Kühnheit, die uns niederwirft,
sie tauchen in ihm seltener auf. Eine milde Frühherbstsonne leuchtet über
wohlgehegten Fruchtgärten. Vor etlichen zwanzig Iahren schrieb ich:
vielleicht ist der „Arme tzeinrich^ die von Iugendfeuer und Iugendnot
vorzeitig herausgetriebene Synthese des Pfitznerischen Schafsens. Nach-
dem ich den „Palestrina" andächtig und dankbar in mich aufgenommen
hatte, wurde mir jenes Vielleicht zur Gewißheit. Pfitzner wäre unter den
Erlauchten der Kunst nicht der Einzige, der sein packendstes Selbstbildnis
mit der Lebensenergie und dem Farbenüberschwang der ersten Mannes-
jabre hinstrich. Doch solche Gewißheit ist subjektiv. Freuen wir uns, daß
der Tonsetzer den Edelbesitz der deutschen Musik um drei Schöpfungen
hoher Art mehrte: möge jeder der, deren magische Kraft ihn am stärksten
bannt, seine Sonderverehrung widmen! —

Die Aufführung, mit rühmenswertem Fleiß und dem Linsatz einer Reihe
von Prachtstimmen vorbereitet, erfreute sich der Gegebenheiten des amphi-
theatralisch ansteigenden Prinzregententheater-Saales, der, bei mäßig guter
Akustik, doch annäherungsweise einen Ausgleich zwischen Sängern und
Orchester ermöglicht und das Bühnenbild ungleich plastischer hervor-
treten läßt als die Opernhäuser, in denen Pfitzner durchaus fehl am Ort
ist. tzingegen tat ihr der um die Ausarbeitung der Einzelheiten liebevoll
besorgte, doch als Antirhythmiker die musikalische Architektur verweich-
lichende Dirigent Abbruch. Die szenisch-dekorative Gestaltung entsprach
weder den genau festgelegten Vorschriften des Dichters, noch rechtfertigte
sie die Erwartungen, mit denen Optimisten immer noch isarwärts blicken.
Auch im Veleuchtungswesen blieb es bei den tzausmitteln des Alltags.
Palestrina hat die Kunststadt München nicht gerettet. Paul Marsop
Die musikalische Legende „Palestrina" ist im Verlag Ad. Fürstner in
Berlin erschienen. Der Klavier-Auszug kostet 2^ M. Obwohl kein Auszug

^ Äber den Eigenstil und die verschiedenen Klangelemente der Partitur wird
in Tagen räumlichen Ausgreifenkönnens so manches ergänzungsgemäß nach«
zuholen sein.

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