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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,4.1917

DOI Heft:
Heft 21 (1. Augustheft 1917)
DOI Artikel:
Niebergall, Friedrich: Neue Lebensgemeinschaften
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https://doi.org/10.11588/diglit.14298#0145

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men, sogar der „Burgfriede^ habe für viele nux darin bestanden, daß sich
der Haß, mit dem sie sich bisher untereinander begeiferten, nun gemeinsam
auf den außern Feind warf.

^^ber es hieße, das von uns ins Auge gefaßte Denken mit seinen eignen
^^Augen ansehn, wenn wir nur diese Erscheinungen verallgemeinern und
mit ihm in eins setzen wollten. Es darf nicht vergessen werden, daß es auch
noch andere Arten von Leidenschaften gibt, die sich seiner bedienen. So
ist es immer die Eigenart des jugendlichen Eifers, die Welt aus
dem Selbstbewußtsein des feurigen Ichs heraus anzusehn und voll heiligen
Anrechts die Menschen in gute und böse einzuteilen. Nicht weniger aber
ist es auch die Art der großen Schaffer und Wirker in der Ge»
schichte, ein Tribut an ihre Art als der großen Kinder Gottes, deren Kenn-
zeichen die Anmittelbarkeit und Kraft des Fühlens ist. Wo heilige Leiden-
schaft für etwas Großes ist, da ist auch immer heilige Angerechtigkeit samt
heiligem tzaß. Da gibt es nur ein Entweder — Oder, da gibt es nur jenes
„Nur wir"; ganz von selbst werden die Gegner in den Schatten des Bösen
und die Freunde in das Licht des Ideals gerückt; denn ganz naiv setzt sich
ein solches Genie in eins mit dem Absoluten selbst, wie es dieses auch
benennen mag. Darin ruht die Kraft seines Wirkens, die sofort durch die
Reflexion und die Gerechtigkeit litte; denn so gut die Gerechtigkeit für die
Beobachtung ist, so sehr leidet unter ihr das weitausgreifende Wirken.
Aus derselben Kraft strömt ihr einseitiges Wahrnehmen und Arteilen, aus
der heraus ihre Ziele und Erfolge stammen. Bricht man jene, so ge«
fährdet man auch diese.

g^iesen großen Angerechten dürfen wir keine Vorschriften machen;
^wir müssen sie nehmen, wie sie sind. Aber ihren kleinen Epigonen,
die nicht viel mehr sind als ungerecht, dürfen wir einen Zaum ins Gebiß
legen. Es werden ja leider nicht allzuviele sein, auf die ein Wort von
dieser Art Eindruck macht; dazu ist schon die Gewohnheit jenes Denkens
viel zu groß. Sie verschanzt sich, wie sie das liebt, wieder hinter ein
ideales Argument: wer nicht wider etwas ist, ist auch nicht sür etwas.
Das ist gewiß wahr, und wir wollen uns diesem Grunde nicht verschließen.
Zwar sind die Absoluten schwer erträglich, die sich naiv oder überlegt mit
der Wahrhekt rn erns setzen; aber die Leute, die jedermanns Meinung
sind, sind geradezu widerlich. Außerdem leisten sie nichts, weil sie nichts
wollen und nichts sind. Dann ist uns doch einer noch lieber, der unter
Krastworten mit dem Fuß aufstampft und seinen Willen durchsetzen will,
als einer, der aus Schwachheit oder aus überpeinlicher Gerechtigkeit über-
haupt nichts mehr will. Aber vielleicht gibt es einen Weg, wie man
selber Einer sein und doch die Angerechtigkeit vermeiden kann. Dazu
gehörte zunächst, daß man mehr im Ia lebte als im Nein, mehr im Für
als im Wider. Immer reiner und sicherer seine Meinung hineinstellen
in das Gewirr der Meinungen der Welt, ohne mit jedem anzubinden,
der etwas anders denkt, das ist die Folgerung, die wir aus dem Recht
zu ziehen haben, daß jeder seine Äberzeugung habe, wie er von Natur
aus und durch seine Entwicklung geworden ist. Ie eigenartiger diese
einem geschenkte Stimme ist, desto mehr darf und muß er immer dasselbe
sagen, natürlich in immer neuer Frische, wie sie das persönlich Lebendige
an sich trägt, und er wird gehört. Muß er als Gegner auftreten, so wird
ihn der Wille zur Wahrheit leiten müssen. Dieser Wille zur Wahrheit

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