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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,4.1917

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Heft 21 (1. Augustheft 1917)
DOI Artikel:
Niebergall, Friedrich: Neue Lebensgemeinschaften
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https://doi.org/10.11588/diglit.14298#0146

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wird nicht ruhen, bis das Bild des Gegners gereinigt ist von der Hülle
der Dünste, die aus unsre'v Leidenschaft und unserm übeln Willen auf-
gestiegen sind. Das wird eine Befreiung sein. Sie wird wie alle
Befreiungen zuerst schmerzen, weil sie alte Denk- und Fühlgewohnheiten
verletzt. Dann aber wird sie erheben, wenn jener Wille zur Wahrheit die
subjektiven Einflüsse beseitigt hat, so daß sich die Wirklichkeit oder die Sache
in dem edlen Schein, der ein untrügliches Zeichen der Lchtheit ist, vor
uns erhebt. „So ist er ja gar nicht, sondern so ist er ja"; „so hat er ja
gar nicht gedacht, sondern so"; — wenn uns das aufgeht, berührt uns mit
ihrem wirklichen Wesen die Sache und gibt uns ein ganz andres Ge-
wissen, zu behaupten und auch zu streiten als vorher. Diese Sachlichkeit
ist in ganz anderm Sinne Persönlichkeit, als wir sonst dies Wort fassen;
wir beugen uns dann der Macht der Wirklichkeit, anstatt sie unsern Trie-
ben und Leidenschaften zu beugen. Das ist eine Bedingung zum Frieden;
immer bereit sein, alte selbstgemachte Bilder der Personen und Dinge ab-
zulegen und immer besonnener zu werden in Verallgemeinerungen und
Typen, im Urteil über Beweggründe und mögliche Folgen. Gehört das
zur einfachen Wahrhaftigkeit eines gebildeten Menschen, wenn Bildung
darin besteht, daß wir von unserm niedrigen Ich loskommen und uns der
Sache eröffnen, so ist es nebenbei auch noch klug; denn es ist nichts pein-
licher und oft lächerlicher als ein Lufthieb gegen di,e nur eingebildete Ge-
stalt eines Gegners. ^

Der Wille zur Wahrheit wird uns fast immer davon überzeugen, daß
die wirkliche Abereinstimmung mit dem Gegner größer ist als unser leiden-
schastlich festgehaltener Gegensatz. Oft wird man finden, daß man gerade
die am meisten gehatzt hat, mit denen man das Meiste gemeinsam erstrebte,
wenn man's auch auf verschiedenem Weg erreichen wollte. Dies anzu-
erkennen, dazu gehört freilich ein starkerWille zurGemeinschaft, der auch
wieder jenem übeln Ich abgerungen werden muß. Nicht selten wird man
dann finden, daß man mit dem Gegner die Brennpunkte einer Ellipse oder
die Pole eines Magneten bildete, die immer paarweise da sein müssen.
Er kann nicht entbehrt werden, ebensowenig wie ich. Immer sind die
Lebensgemeinschaften polar; und wenn sie sich um dieser Pole willen
spalteten, kämen in den Teilen gleich wieder zwei ähnliche Pole auf. So
sind wir und unsere Gegner dafür da, uns gegenseitig zu überwachen und
dazu zu reizen, daß wir unser Bestes herausgeben, und das alles im
Dienst und zum Besten der Gemeinschaft. Nur so erhält sie sich und schreitet
fort. Wir tun ihr also einen Dienst gemäß innerer biologischer und sozio-
logischer Notwendigkeit, wenn wir uns möglichst klar und bestimmt selber
behaupten und auch um die Wahrheit und das Gute mit dem Gegner
kämpfen. Freilich hat dieser Kampf immer in den Schranken zu bleiben,
die andre biologische und soziologische Notwendigkeiten ziehn. Zwar wird
unsre Aberzeugung immer fester werden müssen, wie sie unsrer Natur und
Gntwicklung folgen muß; aber vor dem Anfehlbarkeitsdünkel und seinem
tzaß schütze der Gedanke, daß auch der andere eine Seite der Wahrheit
und des Besten vertreten kann, wie sie seinem Wesen entspricht und zum
Ganzen gehört, auf das ein höherer Sinn die einzelnen Geister einge-
richtet und abgestimmt hat. So bildet der Wille zur Gemeinschaft auch
eine Friedensbedingung, wenn Gemeinschaft nicht bloß eine Schar von
meinesgleichen, sondern die organische Fülle von Mannigfaltigem be-
deutet. Dann kann auch die Achtung vor der fremden Persönlichkeit nicht
 
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