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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,4.1917

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Heft 21 (1. Augustheft 1917)
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Freizügiger Nationalismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.14298#0156

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gerrnanischen Rasse: Schweden und Norweger ernpfanden vor dem Kriege
gegenüber der „russischen Gefahr" bitter, daß ihre deutschen und angel-
sächsischen Vettern die strategischen Vorbereitungen Rußlands für einen
Vormarsch auf die nordischen Germanenländer so gut wie gar nicht
beachteten. Durch den Krieg ist in Deutschland wenigstens etwas Gefühl
für eine schwedisch-deutsche Eintracht gegenüber Rußland erweckt wor-
den, aber viel zu wenig, um die langgewohnte (Lntfremdung ganz auf-
zuheben.

Braucht man lange zu überlegen, ob solche Beschwerden bisher begründet
waren? Man erwäge, was im Reiche vor dem Kriege das Wort „alldeutsch"
nicht immer, aber sehr oft nach den Tatsachen der alldeutschen Politik be«
deutete. Viele unsrer Alldeutschen freuten sich darüber, daß diezwölf Millio-
nen Deutsch-Österreicher aus dem deutschen Reichsverbande ausgeschaltet ge-
blieben sind; denn so lieb ihnen diese als Verwandte waren, so sehr fürchteten
sie sie auch wieder als — Katholiken. „Wenn die katholischen Deutsch-
Österreicher auch noch zu uns gehörten," erklärte mir einmal der tzeraus-
geber einer streng alldeutschen Tageszeitung, „wie sollten wir dann mit der
ultramontanen Gefahr fertig werden!" Eigentlich müßte nach dieser Logik
das echte Deutschtum gefördert werden, wenn man sämtliche Katholiken
in Deutschland veranlassen könnte, den reichsdeutschen Staub von den
Füßen zu schütteln.

Wie erklären sich solche offenbare Verirrungen einer geistigen Bewe-
gung, die damit ansing, daß sie „des Deutschen Vaterland" so weit reichen
ließ, wie, um mit Arndt zu reden, „die deutsche Zunge klingt"? Gewiß gab
es immer und gibt es noch viel ehrliches Wollen und viel gesunde völkische
Kraft auch unter diesen Alldeutschen: sollten da nicht die ursprüng-
lichen Alldeutschen „Ideologen" gewesen sein, die von einem deutschen
Rationalismus träumten, der sich noch lange nicht verwirklichen ließ?
So ist es. Der Nationalismus der ersten Alldeutschen war wie der da-
malige Liberalismus vom tzumanismus des achtzehnten Iahrhunderts be-
fruchtet. In der Wirklichkeit wurde der humane Liberalismus zum inhu-
manen Manchestertum und der humane Nationalismus zur preußisch-
deutschen Machtpolitik. Man konnte in den letzten Fahren vor dem Kriege
wahrnehmeN) wie die Allslawisten ähnlichen Idealen zu huldigen begannen,
wie denen, mit welchen die Alldeutschen anfingen, obgleich doch im tzinter-
grunde der Zarismus lauerte, um die Werbekraft der „neoslawischen"
Ideologie für seine Zwecke auszunützen. Der Neoslawismus war noch
jung, er bedeutete noch keine „realpolitische" Macht; sein Versuch, esdurch
diesen Krieg zu werdeN) ist kläglich mißglückt; er kann sich also nach wie vor
noch ideal gebärden. Die Alldeutschen haben von ihrer ursprünglichen
Ideologie alles in politische Macht umgesetzt oder umgesetzt bekommen,
was sich darin umsetzen ließ; und im Genusse realpolitischer Vorteile
haben sie sich daran gewöhnt, deutsche Macht für Deutschtum zu
nehmen — zu wähnen: das Deutschtum stärke man, indem man den her-
kömmlichen Gewalten diene, die das Deutschtum beherrschen.

Aller bisherige, politisch zu verwirklichende oder verwirklichte Nationa-
lismus diente Herrschenden Kreisen als Mittel, die Auflösung der Abhängig-
keitsverhältnisse des feudalen Zeitalters mit geistigen Mitteln zurückzuhal-
ten. tzatte man die leibliche tzörigkeit aufheben müssen, so sollte die geistige
um so mehr gepflegt werden. Es ist bezeichnend, daß man bisher in
alldeutschen Kreisen statt „national" weniger mehr völkisch, womit man

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