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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,4.1917

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Heft 21 (1. Augustheft 1917)
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Freizügiger Nationalismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.14298#0157

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den von fremdern Sprachgut entlehnten Ausdruck einfach verdeutschte,
sondern „vaterländisch" sagte und damit jeden Zweifel darüber ausschloß,
daß man eine an den Boden gebundene deutsch-völkische Gesinnung
fordere. Das entsprach den Absichten der tzerren des vaterländischen Bo-
dens) der großen Grundeigentümer, deren Satrapen die kleinen sind,
und der jeweiligen politischen Machthaber, der Inhaber der Souve-
ränitätsrechte des Staates. Wie stark das Bodenmonopol der großen
Grundeigentümer ist, erhellt aus Tatsachen: die reichsdeutsche landwirt-
schaftliche Bevölkerung zählt ungefähr ^ Miklionen Köpfe. Weit über
die tzälfte davon hat überhaupt kein Land. Unzählige Parzellen-, Zwerg-,
Klein- und kleine Mittelbesitzer Haben nicht genug Land, um ihre ganze
Arbeitskraft nutzbringend darauf anzuwenden, so daß sie entweder darben
oder Bebenberufe betreiben müssen. Nun hat Deutschland rund 32 Mil-
lionen tzektar „landwirtschaftlich genutzter Fläche". Wären diese gleich-
mäßig auf die ^7 Millionen hauptberuflich in der Landwirtschaft tätigen
Deutschen verteilt, so würden zwei tzektar auf den Kopf entfallen, mithin
zehn Hektar auf eine fünfköpfige Familie. Da aber durchschnittlich ein
Hektar auf den Kopf und fünf tzektar auf die Normalfamilie unter den
Verhältnissen westeuropäischer Kultur völlig hinreichen, um den Landwirten
einen anständig^mittelständischen Unterhalt zu gewähren, so könnte, wenn
man alle jene ^7 Millionen landwirtschaftlich tätige Menschen als gedeihliche
Bauernfamilien seßhaft machte, noch fast die tzälfte des gesamten reichs-
deutschen Nutzlandes unbesetzt bleiben. Eine Fläche, die noch auf überaus
lange Zeit ausreichen würde, um dem Bachwuchs der Landbevölkerung
Raum zu geben. Um die städtischen Bodenbesitzverhältnisse ist es ähnlich
bestellt. Man braucht sie nur oberflächlich zu kennen, um zu wissen, daß
auch unter ihnen das Monopol der großen Eigentümer sich alle pro-
duktive Arbeit stark tributpflichtig machen kann.

Alles, was den Verkehr, die Freizügigkeit, den freien tzandel fördert,
strebt natürlich von dem alten Bationalismus hinweg. Dessen Vertreter
müssen sich zwar notgedrungen mit den Wirkungen jener neuen Bewegungen
abfinden, aber das geschieht jeweils widerwillig, zögernd. Und nichts
unterbleibt, um die Menschen im Zeitalter der Maschine und des Ver-
kehrs noch in den Vorstellungen des überlebten Feudalismus befangen
zu erhalten.

Man kennt die Schicksale Friedrich Lists. Unsere bisherigen Schutz-
zöllner sahen in ihm ihren Schutzheiligen, und unsere Machthaber beriefen
sich auf ihn, wenn sie „unser bewährtes Wirtschaftssystem" verteidigten,
obgleich er heute die Grundsätze der noch geltenden Schutzzollpolitik, das
„Wirtschaftssystem^ unsrer Regierenden großenteils als veraltet verwerfen
dürfte. Er trat zu seiner Zeit für Schutzzölle ein, damit sich erst einmal inner-
halb des Landes Gewerbe und Industrie zu entwickeln und zu entfalten ver-
mochten und zugleich im Inlande alle Schranken für tzandel und Verkehr
hinweggeräumt werden könnten. Er war der Vorkämpfer eines praktischen
Liberalismus. Deshalb war er zeitlebens von den tzerren des deutschen Vater-
landes geächtet. Als er den deutschen Handels- und Gewerbeverein ge-
gründet hatte, wurde er aus den SLaatsdiensten entlassen, als er zwei Iahre
später als liberaler Abgeordneter in der Württembergischen Kammer für frei-
heitliche Verfassungsformen eingetreten war, wurde er zu Gefängnis verurteilt
und später aus der Heimat verbannt. Als er ^832 wieder nach Deutschland
zurückgekehrt war, setzte ihn seine Agitation für den Ausbau eines deutschen
 
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