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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,4.1917

DOI Heft:
Heft 23 (1. Septemberheft 1917)
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Schumann, Wolfgang: Carl Sternheim
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https://doi.org/10.11588/diglit.14298#0214

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as Sternheim über die Versuche, Bürgertum zu „erledigen", hinaus,
H^was er gleichsam „Positives" schuf, ist ein Lustspiel „Der Schar-
mante" und eine Anzahl Novellen. Der „Scharmante" kennzeichnet sich
leicht als eine harmlose, technisch nicht allzu ungeschickte Lhekomödie, welche
drei Akte lang das übliche Tournier zwischen Mann, Frau und Drittem
vorführt, nicht durch geistreiche' Gesprächwendungen, aber höchlichst durch
den Versuch zu psychologischer Zergliederung überrascht, und im letzten
Akt sogar Ansätze zu einer Vertiefung zeigt, die SLernheim sonst im Lust^-
spiel peinlich mied. Ls brauchte nur noch eine Andeutung von Wiener
Mundart und Amwelt dazugegeben zu werden, und ein Stück aus der
Schnitzler-Schule vom Range etwa des „Teetischs" eines Sloboda oder
ähnlicher Ehestudien wäre fertig. Ohne diese Zugabe wirkt das Stück
trocken, ärmlich, fast langweilig, jedenfalls aber als bewußtes oder unbe-
wußtes Zurückgehen auf die bewährten Mittel der psychologischen DichL-
art, welcher die Iüngsten ein für allemal abgesagt haben. Von den No-
vellen sei eine in gleicher und auch in andrer Richtung bezeichnende her«
vorgehoben: „Napoleon". Ihr Held ist ein Kellner, dessen Leben in
der Erfindung von Küchengerichten und im Studium der Schwächen des
Publikums besteht, eine unterhaltende Abart von Mensch. Man kennt
die Scheinüberlegenheit solcher Bedienten. Sternheim hat das gut ge-
troffen, und hier, wo er der verachteten „Individualität" nachgeht, findet
er sich zu einer recht lebendigen Darstellung hin. Das ist im Tiefsten be-
zeichnend: gerade aus dem Gesichtswinkel des heimlich sich überlegen Dün-
kenden, selbst aber Leeren, sind seine eigenen bürgerlichen Komödien ge-
sehen: vom Kaffeehaus aus beobachtete, aus Zeitungen ausgelesene Schwä-
chen, ins Groteske verzerrt, ohne viel künstlerische Arbeit rasch in Szene
und Akt umgesetzt und demselben Publikum, das man „verachtet", doch
vorgeführt — und so wenig, wie der Kammerdiener des Genies Wesentliches
zu seiner Eharakteristik und seinen Problemen beiträgt, so wenig sagen diese
Stücke Beträchtliches aus. Das Traurig-Ode des Daseins dieses Kammer-
dieners einer Pariser Lebewelt, der den Namen eines Großen führt, liegt
Sternheim. Nicht ohne Reife, knapp in der Zeichnung, aber auch sicher im
Abwägen der Worte und Sätze, sogar mit einer gewissen Einfühlung in die
geringe Tragik solcher Existenz, gibt er einen Abriß ihres Lebens. Die
sonstigen Novellen Sternheims — „Schuhlin", „Busekow", „Meta" —
darf man ruhig übergehen. Auf mich wirken sie wie der Notizbuchinhalt
eines Mannes, der sehr gern ein Dichter sein möchte und sich mit heißem
Bemühen Aufzeichnungen über seltsame, ein wenig vom Durchschnitt ab-
weichende Personen — einen Musiker, ein Dienstmädchen, einen Schutz-
mann — macht. Der Stil dieser Aufzeichnungen ist absichtlich entnatür-
licht, der heiße Drang zum Originalgenietum führt zu den heitersten Ver-
suchen, die Sprache zu notzüchtigen. Breiter werden die Aufzeichnungen
regelmäßig, wenn die Schilderung geschlechtlicher Vorgänge einsetzt. Inner-
lich echt, gut gesehen, wirken SLellen, an denen sich Sternheim in die Ge-
fühle dienender Persönlichkeiten hineindenkt, wie in „Napoleon".

G

/Aollte wirklich mit Literaten wie Sternheim ein neuer Typus führender
^Dichter aufgetreten sein? Wir kennen so manche Art grundsätzlicher
Stellung zur Welt, den großen Umgestalter, der eines Zeitalters Inhalt in
sich trägt und ihm seine eigene höhere Schau entgegenwirft, den genial-
 
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