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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,2.1918

DOI Heft:
Heft 7 (1. Januarheft 1918)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Ist Mehrheit Unsinn?
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https://doi.org/10.11588/diglit.14372#0019

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den Verstand so schwierigen Fragen einfachk Die Masse weiß nicht allzu
genau, wie eine politische Problemlösung im einzelnen durchzuführen
ist, aber sie erkennt die Richtung, in der sie liegt. Sie weiß, daß „Gänse-
braten besser schmeckt als Wrucken", sie weiß, daß acht Stunden Arbeitzeit er-
freulicher sind als zwölf, sie ist entschlossen, den Frieden höher einzuschätzen, als
eine Anzahl von Erzgruben, wenn man diese nur dnrch einen langen Welt»
krieg erobern kann. Und so, das intuitiv erschaute Ziel vor Augen, beanf-
tragt sie ihre Vertreter, den Weg dahin zu finden. Diese Vertreter nun sind
die „Wenigen" innerhalb der Mehrheit, von denen man hoffen kann, daß sie
einigen „Verstand" haben. Ihre Macht rührt her von der Mehrheit, ihre Sache
ist es, immer mehr von dem zu erreichen, was die Mehrheit in großen Am»
rissen und ohne Einzelzüge ihnen zu erreichen aufgibt. Dabei habey sie die
Aufgabe, sich der Sachverständigen geschickt zn bedienen — wie denn ein hoher
Beamter kürzlich schrieb: Minister sein ist das Schwerste nicht, denn der
Minister setzt nur die allgemeinen Ziele und befiehlt, ihnen nachzustreben,
für die Ausführung aber steht ihm der ganze Stab der eigentlich Sachver-
ständigen, der dauernden Beamten, zur Verfügung. Die Mehrheitvertreter aber
haben die weitere Aufgabe, die Minderheit in Schach zu halten. Diese bedeutet
die Verkörperung der von der Staats- und Lebensordnung zugelassenen Kritik;
jeden Schritt der Mehrheit verfolgt sie mit Argusaugen nnd soll das. Wehe
der Mehrheit, die sich zuviel Blößen gibt, sie würde rasch zur Minderheit.
Am Ende wird eine verständige Mehrheit überall nachgeben, wo immer sie
das im Hinblick auf ihr Endziel guten Gewissens kann.

T

So ist es denn heute bestellt, daß der „Verstand", wie er kein Alleinbesitz
irgendwelcher Gruppen ist, auch nicht mehr den Ausschlag geben kann dafür,
wer herrschen nnd entscheiden soll. Jede Mehrheit hat nicht nur sich gegen--
über, sondern auch i n sich ihre Minüerheit und ihre Sachverständigen oder ist
wenigstens in der Lage, sich solche dienstbar zn machen. Staaten gehen viel-
leicht zugrunde, aber ob sie am „Unsinn der Mehrheit" zugrnnde gehen, ist
eine andere Frage. An die Stelle der Anbetnng des Verstandes ist die Einsicht
getreten, daß der Wille die Welt lenkt, der den Verstand sich dienen heißt.
And wer wird wagen, zu behaupten, daß dies ein unbedingter Verlust sei?
Nur wer meint: „Verstand" sei stets mit dem besten Willen und Wohlwollen v er-
bunden, er könne sich nie mit Sonderinteressen verbinden, nie die Thrannei
und den Despotismus stützen. Das aber heißt: wer offenkundige Tatsachen der
Geschichte leugnet.

Zwei Gruppen freilich wird die magere und nüchterne Erkenntnis nicht be-
friedigen, zu der wir kamen. Die Einen — nennen wir sie die geborenen
Oligarchisten oder Minderheitler — erklären rund heraus: Mehrheit mag tausend-
mal die Macht haben, sie bleibt doch Unsinn, denn es kommt gar nichts
auf das Wohlergehen und Interesse der Mehrheit an, worauf allein doch die
Masse sich einigermaßen versteht. Die Menschheit hat nur den Sinn, eine
Anzahl Höchstentwickelter zu tragen, wenn es denen igut geht, so mag die
Masse allenfalls an dem profitieren, was die kleine Schar der von Gott Be--
gnadeten ihr überläßt, im übrigen aber sehn, wo sie bleibt. — Das ist nicht
christlich und nicht im Sinne des „Zeitgemäßen" sittlich gedacht, es ist nicht
Schillers, wohl aber Sapiehas Meinung, von dem Schiller bemerkt: „er denkt
oligarchisch, und es ärgert ihn, daß die gemeinen Edelleute auf dem Reichstag
das große Wort führen dürfen." Freilich: widerlegen kann man sie aus
den vorhin angegebenen Gründen ebensowenig, wie man die entgegengesetzte
 
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