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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,2.1918

DOI Heft:
Heft 7 (1. Januarheft 1918)
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Rittelmeyer, Friedrich: In Sachen Rudolf Steiners
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https://doi.org/10.11588/diglit.14372#0027

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Mittel gelang es auch hier dem englischen Geist, den deutschen einzukreisen
und auszuschließen. Aber dadurch gerade wurde der deutsche Geist sreier.
Seit dem Iahre W2 gibt es in Deutschland neben all den andern theo--
sophischen Vereinen eine „Anthroposophische Gesellschaft" unter Führung
Steiners. Die zunächst pietätvoll bewahrte theosophische Terminologie wird
allmählich in die deutsche Gegenwartssprache übersetzt. Der Anschluß an
das deutsche Geistesleben wird in großem Stil gepflegt. Das Christus».
ereignis tritt in den Mittelpunkt einer erschütternd tiefen, freien, weiten
Weltbetrachtung. Der ganze Okkultismus wird als ein Mittel erfaßt und
angewandt, um die religiösen Tiefen des Weltgeschehens neu zu verstehen.

Doch lassen wir Okkultismus, Theosophie und Anthroposophie: um was
handelt es sich bei Steiner? Man wird ihm vielleicht am sichersten ge--
recht, wenn man alles unter einem Gesichtspunkt betrachtet: Erkraftung der
Seele. Die vielbesprochenen Steinerschen „Äbungen", in denen ein ganzes,
hochbedeutsames inneres Erziehungssystem verborgen ist, erstreben zunächst
gar nichts anderes, als daß das Ich Gewalt gewinnt über die Seele, daß
es ihren Inhalt klar zu überschauen und ihre Gesetze frei zu beherrschen
lernt, daß es selbst--bewußt und selbst--mächtig über seinen einzelnen Vor--
stellungen, Gefühlen und Willensregungen lebt, daß es der Herr ist in
seinem eignen Hause. Für Menschen, die dies nicht lernen wollen oder
lernen können, wäre jeder weitere Fortschritt in die geistige Welt hinein
gefährlich, da er sie nur unbekannten dunklen Mächten ausliefern würde.
Aber je mehr das Ich seine königliche Herrschaft antritt, um so mehr erlebt
es auch, daß sich aus dem groben physischen Körper so etwas wie ein
Seelenorganismus hervorhebt, der wie aus allerfeinster Seelenstofflichkeit
gewoben ist. Das ist eine Erfahrungstatsache, die man entweder kennen
kann oder nicht kennen, die aber ohne eigene Erfahrung erklären zu wollen
aussichtslos erscheint. Ie selbständiger und freier nun dieser feinste „Ses-
lenorganismus" wird — der natürlich nicht die Seele selber ist —, um
so mehr bilden sich in ihm ganz von selbst und ganz natürlich, wenn auch
allermeist langsam genug, eigene Organe heraus, und vor diesen nenen
Organen tut sich nun im tzintergrund der bekannten Welt langsam, aber
unaufhaltsam eine neue Welt auf von feineren geistigen Tatsachen und
Gesetzen, die bisher verborgen waren. Die tzinweise auf diese Wirklich-
keit könnte der Mensch der Gegenwart überall finden. Er mag gegen
allen „Somnambulismus" einen unbegrenzten Abscheu haben: ihn einfach
ganz für Schwindel zu erklären, hat er kein Recht. Nur sind nach Steiner
alle Regungen höherer Seelenfähigkeiten, die bei herabgedämpftem und
unbeherrschtem Bewußtseinszustand erfolgen, unsrer wachen Zeit unwürdig
und unsrer reiferen Seele geradezu gefährlich. In den spiritistischen Sitzun--
gen hat man es nach Steiner in den allermeisten Fällen mit wirklichen
Geistern Verstorbener gar nicht zu tun; kindliches Mißverständnis und
verderblicher Mißbrauch spielen eine große Rolle; aber eine andere Welt,
als sie den gewöhnlichen Sinnen zugänglich ist, ragt doch manchmal herein.
Die Gelegenheitsberichte von Ahnungen und Wahrträumen, von Gedanken-
übertragungen und Fernfühlungen und dergleichen mehr mögen großen-
teils einer gewissenhaften Prüfung nicht standhalten, aber dahinter stehen
doch Tatsachen, die auf uneroberte Reiche des Seelenlebens hindeuten, von
denen der Materialismus der Gegenwart nur nichts weiß. Träumend regte
sich dieses Seelenleben in vergangenen Iahrhunderten und Iahrtausenden,
bis in die Gegenwart herein. Wer gegen solche unklaren und unbeherrsch-

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