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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,2.1918

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Heft 8 (2. Januarheft 1918)
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Aus dem Briefwechsel zwischen einem Deutschen und einem Neutralen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14372#0060

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wemr er in eben diesem Tone an andere, beispielsweise an mich geschrieben hätte.
Seinen Adressaten aber stört das weniger, er schreibt mir, er habe vor allem den
andern hören wollen, und das würde ich bald bemerken: wie wir uns in diesem
neutralen Hirne spiegelten, das sei mindestens kennenswert. Er gebe bei der Ge-
scheitheit jenes Mannes auch nicht nur zum Denken, sondern auch zum Lernen
Anlaß. Unü mir scheint auch, das ist so. Deshalb unterbreite ich die wesent-
lichsten Stellen hier der Sffentlichkeit mit der gleichzeitigen Bitte, sich von dem
Äberlegenheitsgefühl eines Herrn, der sich, weil er „dranßen" steht, „darüber" fühlt,
nicht ärgern zu lassen, sondern seine scharfen Beobachtungen nachzuprüfen.

(Die Briefe des Neutralen sind von dem deutschen Empfänger übersetzt.)

A^e r Neutrale: Könnte man eine Neise heute nur als dem Weltgeschehen
"2^verschlossene Persönlichkeit machen, als Freund und alter Bekännter, wie
gern käme ich bald wieder einmal in Ihr noch liebenswerteres als liebenswürdiges
Deutschland. Aber das geht nicht. Länger als eine Viertelstunde hält sich heute
kein Gespräch fern von Politik, und politische Gespräche führe ich als Neutraler
jetzt nicht gern. Woran es auch liegen mag — immer wieder hatte ich den Ein-
druck, daß Ihre Landsleute nicht recht wissen, was eigentlich vorgeht. Sie sind
ein großes Weltvolk, das Weltgeschichte macht, und leben doch so wenig in der
Weltl Nicht als ob man bei Ihnen schlecht unterrichtet würde. Im ganzen kom-
men ganz gewiß mehr Nachrichten, mehr wirklichkeitgerechte Mitteilungen, kommt
mehr Wahrheit an das deutsche Publikum als etwa an das französische. Aber das
tägliche Quantum dieser Wahrheit und Wahrheiten nur so in ihr Weltbild ein-
zuordnen, daß das Wichtige an wichtiger Stelle steht und das Nebensächliche
nebensächlich erscheint, das wird den Deutschen schwer. Vor dem Kriege nicht
daran gewöhnt, haben sie es während des Krieges nicht gelernt. Ein rein sachliches
Bewerten dieses Wissensstoffes erstreben sie, scheint mir, kaum. Wichtige Dor-
gänge werden kaum beachtet, zum Beispiel die „hinten weit in der Türkei", wäh--
rend man für unsere neutralen Augen Kleinigkeiten der täglichen Kriegführung
oder einen belanglosen Ministerwechsel zehnfach zu überschätzen scheint. Das hat
sehr gute menschliche Gründe, aber für unsereinen macht es die politische Durch-
schnittsmeinung, der man als Reisender begeguet, zur Erwartung bei knapper
Zeit recht ungeeignet. Man gilt dann den Deutschen auch leicht für kält und
teilnahmslos, während man die Dinge nur in andern Verschiebungen vou groß
und klein sieht.

(L^e r Deutsche: Sie sprechen von einer Art Welt- und Wortblindheit der
^vDeutschen, verehrter Herr. Wenn sie besteht, welche Ouelle hat sie? Sie be-
tonten selbst, daß bei uns Kraftleistungen, Volksanstrengungen allerersten Ranges
und mit ganz imposanten Erfolgen sich abgespielt haben und weiter abspielen.
Wär' es unmöglich, daß die frische Wangenröte solcher Taten von des Ge-
dankens Blässe nicht angekränkelt werden durfte? Wenigstens nicht in den
„weiteren Kreisen"? Ich habe daran oft denken müssen, wenn ich in Wien
gescheitc Männer zweifeln hörte an Dingen, die im Reich zum geistigen und
moralischen Besitz aller Gebildeten gehören. Vielleicht ist eine ungeheure Kraft-
entfaltung ein wenig mit abhängig von einer leichten Zurückhaltung der Kritik
an allem, was den Willen stärkt.

er Neutrale: Wohl möglich, daß Sie Recht haben mit der Hhpothese über
"^dic enge Abhängigkeit der Kraftentfaltung von der Verschleierung des Blickes.
Aber diese ist nicht die Quelle jener, sondern ihre Bedingung. Vielleicht
ist es zu viel gefordert, ein Volk solle sehend das leisten, was die Deutschen
fertig bringen. Und doch, ein kommendes Weltvolk, verehrter Freund, muß
das können, wenn nicht als Gesamtheit, dann mit Arbeitsteilung, dann in seinen
führenden Köpfen. Es mögen dann die Physisch Angestrengten kurzsichtig sein,
meinetwegen. Die politisch Wirksamen müssen die Qual der Einsicht auf sich

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