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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,2.1918

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Heft 11 (1. Märzheft 1918)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14372#0152

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nicht anders wollen. Viel wichtiger
als die Russen, sind ja für nns die
Randvölker zwischen ihnen und uns.
Die Leninsche Formel würde uns er--
lauben, diese Randvölker zu unter-
stützen! Mit sehr wohlwollender Neu-
tralität."

„Es muß doch wohl seine Bedenken
haben, sonst würden unsre Diplomaten
auf ein so einfaches Mittel wohl anch
schon verfallen sein!"

„Dieser Schluß ist nicht zwingend.
Das ganz Einfache sieht manchmal
der zn sehr Drinstehende gar nicht.
Sie wissen ja: der Verstand der Ver-
ständigen und das kindliche Gemüt!
Und dann stecken unsre Diplomaten
zu sehr in der Anschauung, daß ihre
Kunst die Kunst des höheren Listens
sei.«

„Bleibt jedenfalls noch der Westen!"

„Da liegt's natürlich anders. Aber
sollte nicht auch da ein fest formu-
lierter ehrlicher und ehrenhafter Friede,
durch Neutrale und Fliegerflugblätter
den Völkern selbst bekannt gemacht,
Wunder wirken können? Die Völker
sind dsn Krieg alle satt. So wenig
als unsre Regierung, selbst wenn
sie wollte, es wagen könnte, ein wirk-
lich billiges Friedensangebot zurückzu-
weisen, so wenig könnten dies, denke
ich, die Ententeregierungen."

G

oweit das erlauschte Gespräch.
Nechnet es genug damit, daß die
Völker im Osten wie im Westen über
ihre eignen Interessen sehr vielfach
anders als wir und durchaus nicht ein--
heitlich denken? „Diktieren" wir ihnen,
was uns als ihr Interesse erscheint,
so wird unzweifelhaft auch im Osten
immer ein Teil da sein, der von vorn-
herein unzufrieden ist, und sehr wahr-
scheinlich wird selbst der andre Teil
gegen seine eignen bisherigen Forde-
rungen skeptisch werden, wenn man
sie mit deutschem „Diktat" gewährt.
An allem, was schief geht, wären spä-
ter ganz sicher die Deutschen schuld.
So schiene schon besser, auf den Frie-
densschluß zu warten, bis drüben eine
Regierung die Mitverantwortlichkeit
übernimmt. Nnd im Westen? War den
beiden sprechenden Herren bewußt, wie
das französische Volk jetzt denkt? Bei-
spielsweise, daß es jeden Frieden als

s20

Vergewaltigung empfinden würde, der
ihm nicht allermindestens außer Loth-
ringen auch das Elsaß bringt? Ach
nein, an der Freude der Diplomaten
am Listen und an ihrem Nichtsehn des
Einfachen liegt diesmal die Schwierig-
keit doch wohl nicht allein.

Gjellerups „Goldener Zweig"

en goldnen Zweig brach einst Aeneas
auf seiner Wanderung in die Unter-
welt, um mit seiner Hilfe wieder aus
ihr hinaus zu gelangen. Später stiftete
er ihm in tiefer Waldeinsamkeit ein
Heiligtum der Diana. Wer künftig dort
den goldnen Ast berührte, erhielt Ashl-
recht, was für Verbrechen ihm auch
anhafteten, doch mußte er sich fortan
dem Dienste der Göttin weihen. Da die
Zahl der Priester zwölf nicht über-
steigen durfte, mußte er mit dem um
die Priesterschaft kämpfen, den die Göt-
tin durch das Los bestimmte; der Be-
siegte wurde in den beim Heiligtum
liegenden See gestürzt. In diese Um°
welt zur Zeit des Kaisers Tiberius
versetzt uns der Dichter. Der Caesar
weilt zu Besuch mit seiner goldnen
Galeere auf dem heiligen See, und
während dieser Tage erfüllt sich eine
Reihe von Menschenschicksalen, die alle
um des Kaisers hohe einsame Gestalt
herum und am goldnen Zweige die
Entscheidung ihres Lebensloses finden.
Wir tun dabei tiefe Blicke in die
innerlich faulige Gesellschaft Roms.
Ihre Kultur kann sich zwar noch breit
und großartig entfalten, aber die gött-
lichen Ouellen, welche sie speisten, sind
verdorrt. Die Welt ist reif für neue
schöpferische Kräfte: Christentum und
Germanentum leuchten herein. Dieses
vertreten durch ein in der jungen Rein-
heit ihres Volkes herausgehobenes
Germanenpaar, das hier zugrunde geht.
Mit ihnen stehn über dem Wuste der
verkommenen römischen Welt einige
gute kluge und innerlich große Men-
schen, der Kaiser Tiberius, sein Freund,
der edle Priester Rufus, und Titus,
der römische Hauptmann, der den Hei-
land am Kreuze sterben sah. Das,
am meisten der Kaiser, sind die Sehen-
den mit der großen Sehnsucht nach
einem reineren Dasein, sind die Men-
schen, welche die Gefahren erkennen,
die Rom von jenen neuen Mächten
 
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