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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,2.1918

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Heft 12 (2. Märzheft 1918)
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Hartwig, Emil: Vom Bolschewismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.14372#0166

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Lrstens, daß die . M in i m a l i st e n (Menschewiki), die andere Hälfte der
russischen Sozialdemokratie, sich ebenfalls und wohl mit mehr Recht für
„Marxisten" halten, aber trotzdem dem Aktionsprogramm der Maxi-
malisten nicht zustimmten, daß man also nicht nur deutscher, sondern
sogar russischer Marxist sein kann, ohne maximalistische Tendenzen zn billigen.
Zweitens, daß die Maximalisten ein Aktionsprogramm haben, welches von
deutschen (und österreichischen) Sozialdemokraten als fehlmarxistisch
abgelehnt wird. Das Shstem Marxens läßt mehrere Schlußfolgernngen
zu, da es nicht eindeutig und restlos klar ist, am allermeisten hinsichtlich dcr
sozialistischen „Aktion". Wer Marx' Geist begriffen hat, diesen Geist des
Lvolutionismus, der allmählichen Lntwicklung, kann nicht an die
Nützlichkeit maximalistischer Umsturzarbeit glauben. Das tun denn auch füh-
rende deutsche Marxisten nicht* Sie wollen nicht den „Umsturz", sondern die
„Organisation". Anderseits hat Marx den Zeitpunkt für die „Reife zum Sozia-
lismus" viel zu früh angenommen und dadurch starke Angeduld erzeugt; überdies
hat er, entgegen seinem soziologischen Gesamtdenken, für diesen Zeitpunkt eine
„Diktatur des Proletariats" in Aussicht genommen. Daran, an zwei Fehler und
eine Shstemlücke Marxens, haben sich die Maximalisten gehalten. Von diesen
Voranssetznngen aus sind sie zu Ierstörern und zu Extremisten geworden. Sie
erhielten die Macht, und nun galt es für sie, ihr Programm durchzuführen,
koste es, was es wolle. Das Programm aber lautete: Diktatur und sofortige
Sozialisierung. Dem sind sie tren geblieben. Darin mag man einen Zug
von Größe und gar von Heroismns erblicken, wenn man die unbedingte Treue
zu einer extremen Lebensanschauung so empfinden kann und nicht vielmehr
doktrinäres Herostratentum darin sieht. Verdunkelt worden ist die Erkennbar-
keit der maximalistischen Programmtreue aber hauptsächlich durch zweierlci.
Erstens dnrch ihr Verhältnis zum Gedanken der „Demokratie". Sie sind in
einer Zeit vordringender Demokratisierung ans Rnder gekommen und haben
mit dem Wort Demokratie vielleicht — mir ist das nicht bekannt — gespielt.
Daß sie nicht demokratisch handeln würden, war leicht vorausznsehen.
Die „Diktatur" des Proletariats hat mit irgendejner Demokratie (Mehrheits-
regierung, Volksvertretung usw.) nichts gemein, am wenigsten in einem Lande
mit wenig Arbeiterproletariat und überwiegender Landbevölkerung. Die Maxi-
malisten haben z. B. auch die Duma nie beschickt. Warum sie die Konstituante
haben wählen lassen, wissen wir nicht; daß sie eine widerstrebende Kon-
stituante auseinandertreiben würden, war als Folge ihres Programms von
der Diktatur vorauszusehen, und ebenso, daß dies besonnene Deinokraten, auch
Sozialdemokraten, enttäuschen würde. Noch verdunkelnder war das Zweite:
sie kamen nicht von Gnaden des Proletariats zur Macht, sondern von Gnadcn
der Soldateska. Deren Forderungen aber an ihre Geschöpfe, die maxi-
malistischen Herrschaftträger, gingen weit über das maximalistische Programm

* Sozialismns ist „die bewußte Herrschaft der organisierten Gesellschaft übcr
die Skonomie". „Die organisierte Gesellschaft — das ist nicht die anarchistische
Summierung von Individuen, sondern ihre Verschmelzung in einen einheit-
lichen Gesamtwillen. Diese Verschmelzung ist leider nicht durch ein Dckret
und nicht in einer Angustnacht zu vollziehen." „Ihr werdet nicht zweifeln,
daß dieser Teil der proletarischen Umwälzung, ihre pshchologische Aufgabe,
Iahre und Iahrzehnte beansprucht, nicht Revolte, nicht Dekret, sondern Arbeit
und Erziehung ist". „Das ist die Revolution des Sozialismus, daß die Ge»
sellschaft aus einer Snmme hilfloser Individuen eine Denk- uud Willens-
gemeinschaft werden soll und muß, welche die Dinge, welche die ökonomic
beherrscht. Das ist Friedrich Engels' berühmter Sprung aus dem Reich der
Notwendigkeit in das Reich der Freiheit." „Als Schaude empfinde ich es,
daß Vulgärmarxisten diesen unseren Freiheitsbegriff heute wiedcr ersetzen
wollen durch den Kodex der individuellen Freiheiten des bürgerlichen Re-
volutionarismus. Ein unverzeihlicher Rückfall." Soweit Karl Renner,
einer der stärksten sozialdemokratischen Führer der Zeit (in seiuem Buch „Mar-
xismus, Krieg und Internationale", Stuttgart (9(7). Die Absage an die
Maximalisten ist deutlich!

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