Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,2.1918

DOI Heft:
Heft 12 (2. Märzheft 1918)
DOI Artikel:
Nahrungsmitteltrust
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14372#0171

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Volksmassen an die willkürliche Bewucherung durch eine kleine Gruppe von
Aberkapitalisten schien bei uns unmöglich. Aber dis amerikanischen Truste sind
auch nur Zeichen eines Vorsprungs in der Entwickelung des Kapitalismus, not-
wendige Abel einer zwangsläufigen Entfaltung wirtschaftlicher Gesetze, denen
auch wir uns beugen müssen. In West- und Mitteleuropa jedenfalls haben die
wirtschaftlichen Wirkungen des Krieges fast alle Hemmungen sür die fast schranken-
lose Entfaltuna mächtiger Truste aufgehoben.

Der gefährlichste Trust, der bei uns seinen Schatten schon vorauswirft, wird
ein Nahrungsmitteltrust sein. Was ist schon jetzt möglich, um die Lebensmittel-
versorgung der Gewinnsucht gewissenloser Erwerbsmenschen dienstbar zu machen!
Am April 1917 kündigte das Wolffsche Büro amtlich an, daß grotze Mengen
frischer Muscheln täglich, besonders aus Holland, nach Deutschland hereinkämen,
so daß die Versorgung mit Muscheln bis zum Aufhören der Ernte reichlich sein
werde; Kommunen, die Muscheln „waggonweise" beziehen wollten, möchten
sich am bestcn an den Reichskommissar für Fischversorgung wenden. Der rührige
Kriegsausschuß für Konsumenteninteressen konnte am 8. Mäi feststellen, daß
bis dahin von „frischen Muscheln", geschweige denn einer „Kampagne" darin
nichts wahrgenommen sei. Seine Frage, wo denn die großen Mengen See-
muscheln geblieben seien, blieb unbeantwortet. Es bedurfte auch keiner Ant-
wort; denn das irgendwo zu Dauerware verarbeitete Muschelfleisch, mit dem
sich der Handel befaßte, verriet beredt genug, auf welchem Wege die frischen
Muscheln dem Markte vorenthalten sein konnten.

Dauerware kann natürlich als Ersatz für frische Ware, die leicht verdirbt,
der Volkswirtschaft sehr gute Dienste leisten. Wenn die entsprechende Umwand-
lung immer nur geschähe, damit die Dauerware Aufgaben erfülle, denen die
frische nicht gewachsen ist, gut. Aber das profitsüchtige Kapital, das jene Me°
tamorphose vermittelt, schätzt an der Dauerware vor allem eins Eigenschaft, die
mit ihrer volkswirtschaftlichen Nützlichkeit nichts zu tun hat. Die frische Ware
muß schnell verbraucht, also abgesetzt, also angeboten werden, die Dauerware
nicht. Frisches Gemüse, frisches Fleisch, frische Milch, frisches Obst müssen also
zu mäßigen Preisen verkauft werden, wenn sie in Mengen vorhandsn sind, die
dem Bedarf entsprechen. Zu Dauerware verarbeitet, können sie „warten". Der-
jenige Kreis von Personen, der am Handel mit ihnen mittel- oder unmittelbar
beteiligt ist, kann infolgedessen mit dem sogenannten Gesetz von Angebot und
Nachfrage Schindluder spielen. Er kann sie vom Markte zurückhalten, die Nach-
frage dadurch wachsen, die Preise steigen lassen. Ilnd gerade bei Lebensmitteln
lohnt sich das für die Profitsucht des Kapitals, da die Nachfrage danach infolge
steigender Preise nicht schnell zurückgehen kann. Die jeweils vorhandene Be-
völkerung zahlt für ihre notwendigen Unterhaltsmittel jeden Preis, der nur zu
erschwingen ist.

Die kriegswirtschaftliche Höchstpreispolitik stattete die Dauerware für die
kapitalistische Profitgier mit einem weitern Vorzug aus. In diesem Zustande
konnten die notwendigen Unterhaltungsmittel sich beliebig lange vor den Ver-
brauchern verstecken, um abzuwarten, wem gegenüber den amtlichen Höchst-
preisen zuerst die Geduld ausgehen würde, den Verbrauchern oder dsn Herren
des Angebots. Inzwischen verschwand die frische Ware in wachsenden Mengen
vom Markte, um zu Wucherpreisen, als „ausländische" Dauerware nach
und nach wieder anfzutauchen. Noch lange nach Friedensschluß werden wir
von dem zehren können, was heimische kapitalistische Profitgier uns im Bunde
mit der englischen Blockadepolitik im Kriege zwangsweise entbehren ließ. Die
Nahrungsmittelindustrie wird nach dem Kriege darauf eingestellt sein, vielmals
mchr frische Ware in Dauerware zu verwandeln, als bet freiem Spiel von
Nachfrage und Angebot abgssetzt werden könnte. Das hinter der Nahrungs-
mittelindustrie steckende Kapital aber wird jederzeit in der Lage sein, die Er-
zeugung frischer Ware soweit einzuschränken und von den Wirkungen des Markt-
verkehrs auszuschalten, als notwendig ist, um die Nahrungsmittelindustrie wciter
wachsen, blühen und gedeihen zu lassen, indem der Nachfrage nichts übrig
 
Annotationen