der Masse so rücksichtslos austoben
wie dort. Seit anderthalb Iahrhun-
derten treibt man jenseits des Ka-
nals „Warenökonomie" statt „Men-
schenökonomie". „Die Plutoaristokra-
tie, die in England herrscht, hat diese
Verhältnisse der Außenwelt gegen-
über allezeit meisterhaft zu ver-
schleiern gewußt, so daß auch bei
uns weite Kreise noch in dem Wahn
befangen sind, die große Masse des
englischen Volkes lebe in wirtschaft-
lich gedeihlicheren Verhältnissen als
die breiteren Schichten der Bevöl-
kerung in Deutschland. I. L. und
Barbara tzammond heben in ihrer
Geschichte des englischen Landarbei-
ters mit Recht hervor, daß die eng-
lische Literatur wie die der alten
Römer über das Schicksal der Armen
schamhaft schweige: „Auf eine Per-
son, die irgend etwas von einem so
gewaltigen Ereignis wie dem Ver-
schwinden der englischen Dorfgemein-
schaft weiß, kommen hundert, die
alles und jedes wissen über die
Modedinge der hohen Politik und
des Theaters, die die Zeit der oberen
Klassen fast ganz in Anspruch nehmen.
Das Schweigen, das diese dörflichen
Umwälzungen verbarg, war nicht
ganz ununterbrochen, aber der Schrei,
der es störte, glich dem Geräusch,
das auf einen Augenblick die Stille
der Nacht unterbricht und dann ver-
stummt, um nichts zu bewirken, als
die Stille noch tiefer und feierlicher
zu machen . Dieses Totschweige-
verfahren hat sich für Englands
Plutoaristokratie vorzüglich bewährt;
denn nur weil die Außenwelt das
wirkliche England zu wenig kennt,
ist es den englischen Staatsmännern
möglich, sich in diesem Kriege als
die Vorkämpfer der Demokratie auf-
zuspielen. Otto Eorbach
Von Müllers Schokolade und der
hohen Polittk
lohd George macht bekannt, es sei
Unsinn, von englischen Eroberungs-
absichten zu sprechen; denn England habe
kein Land erobert, dessen Bevölkerung
zur regierenden Rasse gehört. Das ist
ein sehr merkwürdiges 'Wort; man sieht
nämlich nicht, wie die Begrününng mit
dem zusammenhängt, was sie be-
weisen soll. Ist denn das keine Er-
oberung, wenn Herrschende unv Be-
völkerung in dem eroberten Lande zu
verschiedenen Rassen gehören? Will
Llohd George Englands Recht auf
Schottland, Irland und Indien da-
mit bestreiten? Will er sagen, daß
sein Volk nichts dagegen habe, wenn
man ihm diese Länder abnehme? Sonst
ist es ja wahr, daß England die erste
Eroberüngsarbeit andern zu überlassen
pflegte, um sich dann in das wohl-
eingerichtete Nest zu setzen. So gegen-
über den Franzosen, den Holländern,
den Spaniern, den Portugiesen, den
Türken. Immerhin haben doch weder
in Schottland, noch in Irland, noch
in Gibraltar, noch anf Malta, noch
auf Helgoland unterworfene Wilde ge-
wohnt. Oder sollen nnr die Verbün-
deten Englands einen Wink bekom-
men? Da ja weder im Elsaß, das
die Franzosen wollen, noch in Flam-
land, das die Wallonen beherrschen
wollen, noch in Albanien, auf das
die Italiener Anspruch erheben, Be-
völkerung und herrschende Rasse ver-
schieden sind. Was hat das Wort
eigentlich für einen Sinn? Man fragt
vergeblich. Es gibt keine Erklärung,
die vom Sinn des Wortes ausgehen
könnte. Wohl aber eine, die beim
Unsinn beginnt.
In einer Zeitung stand einst fol-
gende Ankündigung: „Müllers Scho-
kolade ist die einzige, die bei Bruch
grau wird!" Niemand wußte, was daS
bedeute, aber man kaufte Müllers
Schokolade und machte rühmend vor,
daß sie wirklich bei Bruch grau wurd«.
Dies wurde das Zeichen für gute Scho-
kolade. Die Konkurrenz war verzweifelt
und forschte dem Geheimnis nach.
Lndlich entdeckte sie den Iusammen-
hang: Bei Müllers war die gesamte
Masse der Fertigstellung verdor-
ben gewesen. Sie war mißfarben und
also unverkäuflich geworden. Da hatte
sich ein Angestellter gemeldet: er wolle
die Lage retten, wenn man ihm Voll-
macht zu einem wahrheitgetreuen In-
serat gebe. Die Mrektoren waren es
wie dort. Seit anderthalb Iahrhun-
derten treibt man jenseits des Ka-
nals „Warenökonomie" statt „Men-
schenökonomie". „Die Plutoaristokra-
tie, die in England herrscht, hat diese
Verhältnisse der Außenwelt gegen-
über allezeit meisterhaft zu ver-
schleiern gewußt, so daß auch bei
uns weite Kreise noch in dem Wahn
befangen sind, die große Masse des
englischen Volkes lebe in wirtschaft-
lich gedeihlicheren Verhältnissen als
die breiteren Schichten der Bevöl-
kerung in Deutschland. I. L. und
Barbara tzammond heben in ihrer
Geschichte des englischen Landarbei-
ters mit Recht hervor, daß die eng-
lische Literatur wie die der alten
Römer über das Schicksal der Armen
schamhaft schweige: „Auf eine Per-
son, die irgend etwas von einem so
gewaltigen Ereignis wie dem Ver-
schwinden der englischen Dorfgemein-
schaft weiß, kommen hundert, die
alles und jedes wissen über die
Modedinge der hohen Politik und
des Theaters, die die Zeit der oberen
Klassen fast ganz in Anspruch nehmen.
Das Schweigen, das diese dörflichen
Umwälzungen verbarg, war nicht
ganz ununterbrochen, aber der Schrei,
der es störte, glich dem Geräusch,
das auf einen Augenblick die Stille
der Nacht unterbricht und dann ver-
stummt, um nichts zu bewirken, als
die Stille noch tiefer und feierlicher
zu machen . Dieses Totschweige-
verfahren hat sich für Englands
Plutoaristokratie vorzüglich bewährt;
denn nur weil die Außenwelt das
wirkliche England zu wenig kennt,
ist es den englischen Staatsmännern
möglich, sich in diesem Kriege als
die Vorkämpfer der Demokratie auf-
zuspielen. Otto Eorbach
Von Müllers Schokolade und der
hohen Polittk
lohd George macht bekannt, es sei
Unsinn, von englischen Eroberungs-
absichten zu sprechen; denn England habe
kein Land erobert, dessen Bevölkerung
zur regierenden Rasse gehört. Das ist
ein sehr merkwürdiges 'Wort; man sieht
nämlich nicht, wie die Begrününng mit
dem zusammenhängt, was sie be-
weisen soll. Ist denn das keine Er-
oberung, wenn Herrschende unv Be-
völkerung in dem eroberten Lande zu
verschiedenen Rassen gehören? Will
Llohd George Englands Recht auf
Schottland, Irland und Indien da-
mit bestreiten? Will er sagen, daß
sein Volk nichts dagegen habe, wenn
man ihm diese Länder abnehme? Sonst
ist es ja wahr, daß England die erste
Eroberüngsarbeit andern zu überlassen
pflegte, um sich dann in das wohl-
eingerichtete Nest zu setzen. So gegen-
über den Franzosen, den Holländern,
den Spaniern, den Portugiesen, den
Türken. Immerhin haben doch weder
in Schottland, noch in Irland, noch
in Gibraltar, noch anf Malta, noch
auf Helgoland unterworfene Wilde ge-
wohnt. Oder sollen nnr die Verbün-
deten Englands einen Wink bekom-
men? Da ja weder im Elsaß, das
die Franzosen wollen, noch in Flam-
land, das die Wallonen beherrschen
wollen, noch in Albanien, auf das
die Italiener Anspruch erheben, Be-
völkerung und herrschende Rasse ver-
schieden sind. Was hat das Wort
eigentlich für einen Sinn? Man fragt
vergeblich. Es gibt keine Erklärung,
die vom Sinn des Wortes ausgehen
könnte. Wohl aber eine, die beim
Unsinn beginnt.
In einer Zeitung stand einst fol-
gende Ankündigung: „Müllers Scho-
kolade ist die einzige, die bei Bruch
grau wird!" Niemand wußte, was daS
bedeute, aber man kaufte Müllers
Schokolade und machte rühmend vor,
daß sie wirklich bei Bruch grau wurd«.
Dies wurde das Zeichen für gute Scho-
kolade. Die Konkurrenz war verzweifelt
und forschte dem Geheimnis nach.
Lndlich entdeckte sie den Iusammen-
hang: Bei Müllers war die gesamte
Masse der Fertigstellung verdor-
ben gewesen. Sie war mißfarben und
also unverkäuflich geworden. Da hatte
sich ein Angestellter gemeldet: er wolle
die Lage retten, wenn man ihm Voll-
macht zu einem wahrheitgetreuen In-
serat gebe. Die Mrektoren waren es