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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,2.1918

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Heft 12 (2. Märzheft 1918)
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Unsre Bilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.14372#0193

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dürfen. Auf den viel tieferen künstlerischen Ernst dieses Großen dentet uns
sogar auf unsrer Wiedergabe die sorgsame Durchführung auch an Neben-
stellen, wie rechts und liuks von den Füßen im Gewand.

Nun aber trägt uns ein Blick auf den Engelskopf wie mit dem Zauber-
mantel aus der Arbeitstätte Michelangelos, in der er „dient", zum Heilig-
tum seines Schaffens. Was ist der erregende Gegenstand? Der Prophet
hält im Lesen inne, sein Irdisches erstarrt, sein Geist entrückt sich, denn plötz-
lich sieht sein inneres Auge den tzerrn. Wie ihn der Engelsknabe zeigt!
Während über das Gesicht des Propheten selber jenes Erstarren geht, leuchtet
der Geist auf dem Antlitz des Engels. Und nun vergleiche man unsre zwei
Blätter und wolle bedenken: was wir von diesem Kopfe jetzt wahr-
nehmen, davon hat jahrhundertelang keiner mehr gesehn,
als etwa auf unserm andern farbigen Blatt von demselben
Engelskopfe wahrzunehmen ist. Erst von dem hohen Gerüst zeigte
sich das, was wir heut mit dem Engelkopf weiter zeigen — für die Blicke der
Menge drunten war es zum mindesten bis zur Erfindung der lichtstarken
Zriedergläser überhaupt nicht da. Und wo lebt sich das Genie Michelangelos
ursprünglicher, unmittelbarer, überwältigender vor uns dar, als in diesen
Begleiterköpfen der Propheten! Wir sehu jeden Ritz im Kalk und jeden
Pinselstrich darauf, aber das Technische ist hier so vollkommen Ausdruck, daß
uns wird, als entstünden diese Gottgeist-Verdichtungen gerade eben jetzt- vor
unseru Augen.

Freilich darf uns dabei die „pfropfenziehermäßige" Stilisierung der tzaare
nicht stören. die hier von der Art abweicht, die Michelangelo sonst bei diesen

Gestalten verwendet. Die müssen wir erst verstehn, um sie zu überwindeu.

In den nassen Kalk scheint zweimal übereinander gemalt zu sein. Dem

Meister ist wohl der Gedanke gekommen: wie bringe ich etwas von der Be-
geisterung dieses flammenden Kopfes noch auf die Beschauer tief unten zur
Wirkung? Versetzt man sich erst in diese Absicht, so fühlt man auch das
anfangs Befremdende sofort ganz anders.

Man hat leider das „reichsdeutsche Gerüst" in der Sixtina viel zu wenig
zu großen photographischen Einzelaufnahmen ausgenutzt. Was ich irgend
Brauchbares davon findeu konnte, habe ich in meinen Michelangelomappen
verwendet, denn es schien mir eine recht wichtige Aufgabe, gerade das zu
verbreiten. A

Die Kopfleiste über der ersten Seite dieses Hefts zur Passionszeit ist aus
einem Dürerschen Holzschnitt, die kleine Schlußzeichnung ist von Fritz

Philipp Schmidt aus dem „Hausbuch deutscher Lhrik".

Herausgsber- vr. b. e. Ferdinand Avenarius in Dresden-Blasewitz; verantwortlich: der
Herausgeber. Mitleitende: Artur Bonus, vr. P. Th. Hoffmann und Wolfgang Schumann —
In Ssterreich-Ungarn für tzerausgabe u. Schriftleitung verantwortlich: Or. Richard Batka in Wien XIII/S —
Sendungen für den Tezst ohne Angabe eineSPersonennamens andie »Kunstwart-Leitung' in
Dresden-Blasewitz — Manuskripte nur nach vorhcriger Dereinbarung, widrigenfallS
keine Derantwortung übernommen werden kann — Derlag von Georg D. W. Lallwey — Druck vo»
Kastner S Lallwey, k. tzofbuchdruckerei in München — Gcschäftsstelle für Berlin: Georg Siemens, V 57
Kurfürstenstr.s—-Seschäftsstelle sürüfterreich-Ungarn: tzofbuchhandlung MoritzPerles, WienI,SeilergasteG
 
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