So sind gegen Ende der ersten zehn Weimarer Iahre alle die Keime gelegt
und zmn Schwellen gebracht, welche den Lebensprozeß Goethes dem Gehalt der
Humanität geben sollten. Unter dem Himmel Italiens, wo die Trümmer der
Antike und das freie südliche Leben eine großartige, ausgleichende und ansge--
glichene Natur offenbaren, kommt diese Entwicklung zum Abschluß: die end--
gültige Lebenshaltung Goethes im reinen Menschentum vollendet sich, indem
das Ich die drei großen Gesetzlichkeiten des Erdendaseins, das geistige, das
ästhetische und sittliche Gesetz in sich zur Harmonie bringt. Der Aiederschlag
dieser Entwicklung, durch den Goethe als der Dichter der Humanität erscheint,
ist vor allem in den drei Werken verewigt: Iphigenie, Tasso, Hermann und
Dorothea. Von ihnen sagt Gundolf: „Die beiden ersten sind in den Iahren
vor Italien empfangen, in Italien gereift worden, das dritte ist die vollendete
Frucht nicht der erstrebten, sondern der erlangten Humanität. Iphigenie und
Tasso vergegenwärtigen das Ringen um die neue Humanität, die seelischen
Siege und Niederlagen, den Gewinn und den Verzicht in dem Kampf. Her--
mann und Dorothea weiß von dem Ringen nichts mehr, es webt nur innerhalb
der Lereits festgestellten Humanität der Herrschaft. Die Konflikte entstehen nicht
mehr aus dem noch vorhandenen Gegensatz zwischen Anmaß und sittlich schönem
Wollen, welcher doch der Grund der beiden Schauspiele ist . . . Der Kampf
dieses sittlichen Willens mit der angeborenen Leidenschaft und den Widerständen
der Außenwelt, siegreich wie Iphigenie oder sieglos wie im Tasso" wird
ausgefochten und in Werken von Ewigkeitswert beigelegt.
Solch reines Menschentum sah Goethe bei den Griechen vollendet. Die
Kalokagathie der Hellenen hatte zum Ziel den schönen und gnten Menschen,
stellte die Forderung, das Göttliche im Menschen zum klaren Ausdruck zu
bringen, soweit der Begriff „Mensch" und das damit verbundene Maß dies
überhaupt zulassen. Das Schöne und Gute aber ist letzten Endss nicht mehr
zu trennen; denn es ist im Grunde ein und dasselbe, nur durch verschiedene
Betrachtungsweisen, vom Fühlen und Wollen her, prismatisch zerlegt. Wer
aber diese Forderung als Gebot an und in sich selbst erfüllen will, der kann
sie nicht durch äußerlich-rationalistische Rezepte lösen, er muß sie als Auf-
gabe in sich erleben. Wie der einzelne Fall nur ein Gleichnis des Allge--
meinen ist, so ist der einzelne Mensch der gegebene einzig mögliche Anfang zur
Menschlichkeit. Indem er sich fördert, fördert er zugleich die Allgemeinheit.
„Ich weiß nicht," sagt Goethe, „warum das Interesse des Einzelnen dem der
Menge geopfert werden soll. Ich behaupte, jeder soll bleiben was er ist und
nach innerster Aberzeugung arbeiten und schaffen. Ich habe als Schriftsteller
nie das Interesse der Menge in Betracht gezogen, bin aber stets bestrsbt ge--
wesen, die Wahrheit zu sagen, zu schreiben, was ich dachte und was ich für
gut hielt. Daraus ist Gutes für Andere hervorgegangen, ohne daß dies mein
ursprüngliches Ziel war." Die persönliche Lebenshaltung, die hier vor das
Gemeinwohl gestellt wird, kann niemals schließlich die Allgemeinheit fördern,
wenn sie ihren Instinkten und Trieben nachlebt, sondern nur, wenn sie strenge
Selbsterziehung bedeutet. Für diese Selbsterziehung war Goethe ein großes
Beispiel.
Die Forderung von sich aus human zu sein, darf heute in der Zeit der
Massenhumanität erst recht nicht übersehen werden, denn unsere unpersönlichen
Humanitätsbestrebungen bringen die Gefahr, auf den Einzelnen schematisch nach
angelernten und nicht erlebten Lehren zu wirken. Sie führen leicht zu einer
oberflächlichen schlagwortreichen Moralisterei, zu einer kurzsichtigen doktrinären
Schein-Ethik, die mit Humanität nichts mehr zu tun hat.
und zmn Schwellen gebracht, welche den Lebensprozeß Goethes dem Gehalt der
Humanität geben sollten. Unter dem Himmel Italiens, wo die Trümmer der
Antike und das freie südliche Leben eine großartige, ausgleichende und ansge--
glichene Natur offenbaren, kommt diese Entwicklung zum Abschluß: die end--
gültige Lebenshaltung Goethes im reinen Menschentum vollendet sich, indem
das Ich die drei großen Gesetzlichkeiten des Erdendaseins, das geistige, das
ästhetische und sittliche Gesetz in sich zur Harmonie bringt. Der Aiederschlag
dieser Entwicklung, durch den Goethe als der Dichter der Humanität erscheint,
ist vor allem in den drei Werken verewigt: Iphigenie, Tasso, Hermann und
Dorothea. Von ihnen sagt Gundolf: „Die beiden ersten sind in den Iahren
vor Italien empfangen, in Italien gereift worden, das dritte ist die vollendete
Frucht nicht der erstrebten, sondern der erlangten Humanität. Iphigenie und
Tasso vergegenwärtigen das Ringen um die neue Humanität, die seelischen
Siege und Niederlagen, den Gewinn und den Verzicht in dem Kampf. Her--
mann und Dorothea weiß von dem Ringen nichts mehr, es webt nur innerhalb
der Lereits festgestellten Humanität der Herrschaft. Die Konflikte entstehen nicht
mehr aus dem noch vorhandenen Gegensatz zwischen Anmaß und sittlich schönem
Wollen, welcher doch der Grund der beiden Schauspiele ist . . . Der Kampf
dieses sittlichen Willens mit der angeborenen Leidenschaft und den Widerständen
der Außenwelt, siegreich wie Iphigenie oder sieglos wie im Tasso" wird
ausgefochten und in Werken von Ewigkeitswert beigelegt.
Solch reines Menschentum sah Goethe bei den Griechen vollendet. Die
Kalokagathie der Hellenen hatte zum Ziel den schönen und gnten Menschen,
stellte die Forderung, das Göttliche im Menschen zum klaren Ausdruck zu
bringen, soweit der Begriff „Mensch" und das damit verbundene Maß dies
überhaupt zulassen. Das Schöne und Gute aber ist letzten Endss nicht mehr
zu trennen; denn es ist im Grunde ein und dasselbe, nur durch verschiedene
Betrachtungsweisen, vom Fühlen und Wollen her, prismatisch zerlegt. Wer
aber diese Forderung als Gebot an und in sich selbst erfüllen will, der kann
sie nicht durch äußerlich-rationalistische Rezepte lösen, er muß sie als Auf-
gabe in sich erleben. Wie der einzelne Fall nur ein Gleichnis des Allge--
meinen ist, so ist der einzelne Mensch der gegebene einzig mögliche Anfang zur
Menschlichkeit. Indem er sich fördert, fördert er zugleich die Allgemeinheit.
„Ich weiß nicht," sagt Goethe, „warum das Interesse des Einzelnen dem der
Menge geopfert werden soll. Ich behaupte, jeder soll bleiben was er ist und
nach innerster Aberzeugung arbeiten und schaffen. Ich habe als Schriftsteller
nie das Interesse der Menge in Betracht gezogen, bin aber stets bestrsbt ge--
wesen, die Wahrheit zu sagen, zu schreiben, was ich dachte und was ich für
gut hielt. Daraus ist Gutes für Andere hervorgegangen, ohne daß dies mein
ursprüngliches Ziel war." Die persönliche Lebenshaltung, die hier vor das
Gemeinwohl gestellt wird, kann niemals schließlich die Allgemeinheit fördern,
wenn sie ihren Instinkten und Trieben nachlebt, sondern nur, wenn sie strenge
Selbsterziehung bedeutet. Für diese Selbsterziehung war Goethe ein großes
Beispiel.
Die Forderung von sich aus human zu sein, darf heute in der Zeit der
Massenhumanität erst recht nicht übersehen werden, denn unsere unpersönlichen
Humanitätsbestrebungen bringen die Gefahr, auf den Einzelnen schematisch nach
angelernten und nicht erlebten Lehren zu wirken. Sie führen leicht zu einer
oberflächlichen schlagwortreichen Moralisterei, zu einer kurzsichtigen doktrinären
Schein-Ethik, die mit Humanität nichts mehr zu tun hat.