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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,2.1918

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Heft 7 (1. Januarheft 1918)
DOI Artikel:
Rittelmeyer, Friedrich: In Sachen Rudolf Steiners
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https://doi.org/10.11588/diglit.14372#0030

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Zert tagsüber oft bis zur Unmöglichkeit belastet ist von fragenden und
ratsuchenden Menschen. Man sragt sich, ob bei einem auf bewußten oder
unbewußten Täuschungen beruhenden System nicht ganz andere Formen
der Mitteilung hätten gewählt werden müssen, als diese Beschreibungen
derselben Dinge von den allerverschiedensten Gesichtspunkten aus und
in den mannigfaltigsten Zusammenhängen. Oft legt man einen Vortrag
aus der tzand mit dem Empfinden: wenn das nachgeprüft werden sollte,
was hier allein naturwissenschaftlich behauptet ist, dann läge hier der Stoff
für die Doktorarbeiten eines ganzen Iahres. Manchmal erinnert man sich
an die Erzählung, die über Iohann Sebastian Bach umgeht, daß ein
guter Notenschreiber in derselben Zeit das kaum nachschreiben könnte,
was Bach komponiert hat. Nnd dabei hat man den Eindruck, daß hier
einer noch mehr weiß, als er sagt, und daß Form und Inhalt seiner Mit-
teilungen unter den Gesichtspnnkten einer großzügigen Pädagogik stehen,
die erst von später her einmal wird durchschaut werden können.

Was liegt nun eigentlich hier vor? Das Lebenswerk eines ganz außer-
gewöhnlichen Geistes, der der Menschheit für die Zukunft eine Äberfülle
von Stoff zu verarbeiten gegeben hat? Oder der Selbstbetrug eines
pathologischen Schwärmers, der nur tragische Empfindungen wecken kann?
Im letzteren Fall noch würde mir Steiner als eines der interessantesten
Phänomene der Weltgeschichte erscheinen. Im ersteren Fall wäre Deutsch-
land znrzeit wieder einmal in Gefahr, an einem ganz großen Ereignis
vorüberzugehen. Nnd gehören vielleicht dieses Ereignis und die geistige
Weltenwende des Weltkrieges nach einer tiefen Absicht der Vorsehung zu-
sammen?

Für viele wird es keine Vermehrung des Vertrauens bringen, wenn in
dieser Zeitschrift noch erwähnt werden soll, daß Steiner sich auch auf dem
Gebiet der Kunst theoretisch und praktisch hervorgewagt hat. Der ehe-
malige Herausgeber des „Magazins", der Verfasser vieler prächtiger
Schriften über die deutsche Literatur (zum Beispiel „Schiller und unser
Zeitalter", „Lyrik der Gegenwart") hat auch eine Anzahl Mysteriendramen
geschrieben. Daß man in ihnen manches vermissen kann an äußeren Reizen
des Dialogs und des dramatischen Aufbaus, wie man sie gewöhnt ist,
darüber wird man rasch einig sein. Aus einem tiefen Bedürfnis ist hier
der Versuch geboren, seelisch Geschautes und Erlebtes auch in szenischen
Bildern vors Auge zu stellen. And seelischer Gehalt — gerade das, was
man bei so vielen dramatischen Erzeugnissen der Gegenwart mit Schmerzen
vergeblich sucht — ist hier jedenfalls in außerordentlicher Fülle und Tiefe
vorhanden. Die Aufführung vor einem empfänglichen Kreis allein wird
offenbaren, ob bestehen kann, was hier geleistet, ob sich entwickeln kann,
was hier versucht worden ist. Ebenso betrachtet Steiner selbst den Bau in
Dornach bei Basel, der allein schon bei einem andern die Lebensarbeit
eines Iahrzehntes bedeuten würde, als einen allerersten Versuch, aus tief
innerlich empfundenen Lebensgesetzen heraus etwas zu sagen, was sonst
ungesagt bliebe. Nnd die Dornacher Kunstvorträge, deren neue, reiche
Gedankenwelt hoffentlich auch einmal einem größeren Kreis zugänglich
wird, beweisen jedenfalls, von welchem künstlerischen Ernst und von wel-
chem geschichtlich gebildeten Verständnis diese Arbeit getragen wird, und
rechtfertigen es für sich allein schon, daß eine große Zahl von Künstlern
sich mit ihrer Kraft den Anregungen zur Verfügung stellt, die bis in alle
Einzelheiten hinein von Steiner ausgehen. Vielleicht wird die Offentlich-
 
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