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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,2.1918

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Heft 8 (2. Januarheft 1918)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14372#0071

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Und sagt alles geschehene Unrecht aus.
Und wie wenn es nur der Einfachheit
wegen wäre, ninrmt er es alles auf sich.
Es liegt nichts daran, wer es getan
hat, nur daß es getan ist, und er es
mitgetan hat. „Dn hast kein Mitleid
mit dir gehabt," sagt sein alter Vater,
„drum wird er Mitleid haben, Gott!"

Hier handelt ein Volk in großem
Aberschwang, ohne Mitleid mit sich
selbst. Es ist jahrhundertelang von der
Politik ferngehalten und weiß sich po-
litisch nicht zu helfen. Es geschieht
Schreckliches. Wer kann, wird Ähnliches
nicht über sein Land heraufbeschwören. Es
ist aber die Frage, ob dieses geknechtete
Volk anders zur Freiheit kommen konnte.
Wie dem sei und über diese Erschwe-
rungen hinaus: es geschieht hier nicht
nur Schreckliches, es geschieht auch
Großes. T

Psychologisch-kulturelle Merkwiirdig-
keit

pätere Iahrhunderte wird, wie wir
hoffen, als eine der größten Son-
verbarkeiten unsrer sonderbaren Zeit
dies berühren, daß so viele Regierun-
gen nicht eigentlich regierten, sondern
hetzten. Die Staatsmänner der Entente
sprachen fast allgemein, mit geringer
Abersetzung ins Gebildete, in den Ge-
danken von Fuhrknechten, und ihr
Verkehr mit ihren Völkern ähnelte
demjenigen italienischer Eseltreiber mit
ihren Pflegebefohlenen, nur daß die
Knüppelhiebe durch moralische Ein-
wirkungen ersetzt waren. Ansre eigenen
Staatsmänner sprachen zurückhalten-
der. Ein wenig verrät sich darin wohl,
welche Partei sich im Nachteil fühlt.
Der Anterliegende benimmt sich stets
wilder als der Obsiegeirde. Dennoch
gab es auch bei uns Entsprechendes.
Man lese die Amtsblätter der Zeit.

Man sollte meinen, die zusammen-
gefaßte Staatsweisheit einer Zeit gipfle
natürlich in den Spitzen der Staatsver-
waltungen. Man sollte meinen, dort
arbeite die Staatsvernunft sozusagen
in Person daran, die Völker zu erziehen
und reibunglos ihrem Gesamtgefüge
einzureihen. Falls aber man dort zu
sehr mit der bloßen Machtfrage zu tun
hat und die Regierungen biologisch
nur die Gipfelungen und äußersten Zu-
spitzungen der Volkegoismen bedeuten,

so werden wohl, sollte man meinen,
Wissenschaft und Kirche die Stätten
sein, wo Vernunft und menschliche Ge-
meingefühle desto lebhafter die Pflicht
der Regulative ausübten. Es kann ja
nicht gut stehn um Organismen, in
denen die Gier über Kopf sowohl als
Herz siegen will.

So sollte man meinen. Aber es
scheint anders. Nicht ganz mit Anrecht
schreibt die „Frankfurter Zeitung" zum
Würzburger Parteitag der Sozial-
demokratie: „Wie merkwürdig ist diese
Welt geworden! Man hat von christ-
lichen Pfarrern gelesen, die die Kriegs-
leidenschaft genährt und den Friedens-
bestrebungen widersprochen haben. . . .
Inzwischen vertritt eine Partei, die
vom Materialismus ausgegangen ist,
etwas wie Christlichkeit!" T

Drüben wie hüben

n einer angesehenen englischen Zei-
tung entrüstete sich kürzlich ein Lon-
doner Vorstadtbürger in einem der
drüben so beliebten Briefe an den
Herausgeber: „Haben Sie eine Er-
klärung für Folgendes: Im Schau-
fenster eines hiesigen Ladens ist das
bedeutendste Spielzeug ein Kreuzer, der
die deutsche Flagge an Heck und Mast
wehen läßt und den Namen „Emden"
aufgemalt trägt. Dicht dabei stehen
Meldereiter zu Pferde mit deutschen
Helmspitzen und in feldgrauen Ani-
formen. Sind diese Spielzeuge für die
22000 feindlichen Fremden bestimmt,
die noch hier herumlaufen, und für
die große Zahl der naturalisierten
Hunnen?... Würde man wohl in
irgendeinem deutschen Schaufenster das
Modell von, sagen wir, Admiral Stur-
dees Flaggschiff finden? Der Hunne
geht darauf aus, seine Waren zn ver-
kaufen, nicht sich seine Fenster ein-
werfen zu lassen."

Man hat uns so oft vorgesagt, nur
der Deutsche bringe es fertig, fremde
Waren höher zu schätzen als die eige-
nen; sogar in diesem Kriege sei in
ihm nur zwangsweise die angeborene
Hochachtung vor dem Ausländischen
niederzuhalten; er lasse sich vor allem

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