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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 23.1908

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Diez, Hermann: Zwischenakts-Gedanken im Münchner Künstler-Theater
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https://doi.org/10.11588/diglit.6701#0079

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Da6 der Echtheitsgedanke des Meiningertums
zwar in gewissem Sinne sicherlich einen Fort-
schritt aber schließlich doch ein Fortschreiten auf
e'nem falschen Wege bedeutete, ist ja längst
keine neue Entdeckung mehr. Aber merkwürdiger-
weise haben selbst geistig hochstehende Bühnen-
leiter wie Dr. Frhr. v. Berger in Hamburg und
Ma* Reinhardt in Berlin, die in der Theorie ganz
genau wußten, wo das Heil liegt, in der Praxis
s>ch darauf beschränkt, das Meiningertum zu
übermeiningern. Wie richtig schreibt z. B. der
Erstere in seiner Antwort auf die Frage, wie man
Shakespeare spielen soll: „Kunst, vom Geiste
stammende Kunst ist vom Schauspieler doch nur
die in ihm vom Dichterworte geweckte Kraft,
welche die Phantasie des Hörers zwingt, die
Visionen des Dichters zu schauen und zu durch-
ieben. Der Rest, der heute der größte Teil
"eißen könnte, ist doch nur die Geschnaskunst
des Dekorateurs, der sich bis auf die Person des
Schauspielers erstreckt, der dieser durch seine
Künste das Tüpfelchen aufs J setjt." Berger nennt
diese schauspielerischen Kniffe „gesprochene und
gespielte Schminke". Aber wenn er selbst auf
seiner Hamburger Bühne den König Lear inszeniert,
dann kommt auch nichts wesentlich Anderes und
wesentlich Besseres heraus, dann wacht das
immer müder und stumpfer werdende Publikum

in endlosen Zwischenakten die Mitternacht heran
und ist höchstens noch im Stande, ein „fast
echtes", wunderbar „täuschendes" Kornfeld mit
einem lauten „Aah" zu begrüßen, dem genialen
Regisseur ein süßer Lohn! Reinhardts Vor-
stellungen kenne ich nicht aus persönlicher An-
schauung, aber nach allem was man darüber hört
und liest, sind sie höchstens dem Grade d. h.
dem Raffinement der Durchführung nach von den
Bergerschen verschieden und fallen also mit diesen
unter eine Verdammnis, die durch noch so viel
bewundernswertes Detail nicht in ihr Gegenteil
verkehrt werden kann. Die echten Bäume sind
im Grunde doch nicht mehr sondern sogar we-
niger als der wirklich nasse Regen im „Weißen
Rößl", auf dessen Echtheit doch wenigstens ein
stark komischer Effekt ruht. Und gerade aus
Hamburger Munde haben wir über den Faust im
Künstler-Theater das mitleidig absprechende Ur-
teil gehört: „Ja, wenn man den Bergerschen
Faust im Schauspielhause gesehen hat!" Die
Parole des Künstler-Theaters: los von der Über-
meiningerei! los von Berger! los von Reinhardt!
ist also bis jetjt noch gar nicht allgemein ver-
standen worden, und man kann sich eine oder
auch mehrere seiner Aufführungen sogar an-
sehen, ohne zu merken, daß absichtlich ver-
schmäht und geradezu bekämpft wird, was dem

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