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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 23.1908

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Breuer, Robert: Schönheit als Weltanschauung
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.6701#0173

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das Menschliche. Ein Schrei nach dem
Sinn des Lebens geht durch die Lande.
Schon mehrt sich die Zahl derer, die eine
Jugend wittern. Etwas Neues soll zustande
kommen, etwas, was noch nie dagewesen und
dennoch kein Produkt der Willkür. Aus
einer besser gesehenen und tiefer verstandenen
Wirklichkeit soll der Extrakt gezogen werden.
Der Mannigfaltigkeit gilt es eine Form zu
gewinnen. Solches geschieht durch Auslese
und Verdichtung. In diesen Prozessen wurzelt
die Identität von Weltanschauung und Kunst-
werk. Ein Kunstwerk ist auch nichts anderes
als neu gesehene Natur in eine noch nie dage-
wesene Form gebracht. Die Leidenschaft zur
Form ist es, die den Künstler zwingt, ein neues
Werk, eine neue, höhere Wirklichkeit der Natur
gegenüberzustellen. Er fühlt diesen Trieb in sich
keimen und wird von ihm forlgerissen. Wie
das Werk eigentlich zustande kommt, das
bleibt ein Geheimnis. Der Künstler weiß nur,
daß er es schaffen mußte; und weiß ferner,
daß er dazu seines Handwerkes bedurfte, und
weiß schließlich, daß dieses Handwerk als
Medium es bedingt, wie nahe das vollendete
Werk der gewollten Form kommt. So ist
es auch mit der Weltanschauung, nur daß
das Geheimnis hier noch größer ist; weil
eine Weltanschauung nie durch den Einzelnen,
sondern stets durch einen Menschenverband
zustande kommt. Man weiß wohl, daß um
Weltanschauung zu gewinnen, es des Denkens
und der geistigen Arbeit bedarf, und man
ist sich dessen klar, daß von der Qualität
der einzelnen Denker das Resultat abhängig
ist; aber woher nun eigentlich die Welt-
anschauung kommt und wie sie kommt, und
was ihre Kralt ausmacht, das bleibt ein Mirakel.
So ist die Weltanschauung gleich dem Kunst-
werk ein Phänomen, das aus dem Unbewußten
auftaucht und dann einfach da ist. Jede
Weltanschauung hat etwas Geheimnisvolles,
das ist die Basis ihrer Größe. Und nicht
minder geheimnisvoll ist die Unbedingtheit,
mit der eine Weltanschauung, wenn sie erst
einmal herrscht, sich alles Untertan macht.
Das ist der Prüfstein einer Weltanschauung,
daß sie keine Ausnahme gestattet. Wenn wir
also davon reden, daß die Schönheit Welt-
anschauung werden soll, so sagen wir damit
etwas Gewaltiges, nämlich dies: daß alles,
was diese Welt ausmacht, und all unser Denken
und Fühlen innerhalb dieser Welt, und selbst
die Sehnsüchte, die sich über die Grenzen
des Irdischen hinausrecken, von der Schön-
heit ergriffen und durchströmt werden sollen!

154

Da wir das sagen, ist es uns, als flögen wir
mitten im Idealismus, und es dünkt uns höchste
Zeit, wieder zur Erde zu kehren. Das tun
wir, indem wir statt Schönheit setzen: Sach-
lichkeit, Zweckmäßigkeit und Geschmack. Wenn
wir nun also sagen, daß die kommende Welt-
anschauung in diesen drei Faktoren wurzeln
wird, behaupten wir, daß Sachlichkeit, Zweck-
mäßigkeit und Geschmack über alles kommen
soll, was an Dingen um uns herum, was an
Gewohnheiten und Sitten, was an Gesinnung
und Empfindung unser Leben ausmacht. Das
scheint keineswegs eine so unerhörte Voraus-
sage, noch gar eine unbillige Forderung. Man
wird kaum widersprechen, wenn behauptet
wird, daß wir eigentlich schon völlig ergriffen
sind von der Bewegung, die jenes postulierte
Fundament der kommenden Weltanschauung
zum Ziel hat. Welche Begriffe kreisen wohl
so häufig durch die Diskussion des Tages wie
gerade die der Zweckmäßigkeit, der Sachlichkeit
und des Geschmackes. Und entsprechen diese
drei Kategorien nicht drei Zentren der modernen
Welt: der Naturwissenschaft, dem Ingenieur-
wesen und dem Kunstgewerbe. Sind die drei
Tugenden eines zurHöhesteigendenGeschlechtes
nicht die Konsequenz der größten Entdeckung
der Gegenwart, der Entdeckung des Auges.
Mit dieser Erkenntnis sind wir an den eigent-
lichen Angelpunkt der neuen Weltanschauung
geraten. Die Entdeckung des Auges ist der
definitive Garaus der alten Weltanschauung,
und was da kommt, ist auf die kürzeste
Formel gebracht: eine Weltanschauung
des Auges. So etwas gab es schon einmal,
damals als Phidias und Praxiteles ihren un-
ermeßlichen Reichtum spendeten und ein
ganzes Volk solche Gabe der Götter anbetete.
Dann aber kamen die Zeiten, da das Auge
ausgelöscht wurde, da man die Sinne tötete.
Das Wort, der Begriff", die Abstraktion fraßen
die Glückseligkeit des Fleisches, weil alles,
was den Nerven und Muskeln Heiterkeit be-
reitete, dem Teufel zugesprochen wurde. So
fiel eine unermeßliche, auch den kleinsten
Funken irdischen Feuers auslöschende Nacht
auf die Menschen. Sie währte lang, und hier
und da dauert sie noch heute. Noch heute
gibt es ganze Scharen, die es für Höllenwerk
achten, daß die Pforten der Sinne aufgestoßen
werden sollen, daß sogar das Auge wieder
sehen und genießen will. Indessen, diese
übereifrig sich ereifernden vermögen nichts
mehr daran zu ändern: das Wort hat seine
Allmacht eingebüßt, die Sinneswahr-
nehmung, die Empfindung und die An-

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