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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 23.1908

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Muschner, Georg: Kunst und Welt
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https://doi.org/10.11588/diglit.6701#0226

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fertigkeit. Der Markt der Kunstausstellungen und
der kunsttechnischen Reproduktionen ist über-
schwemmt von Unmassen graphischer Darstel-
lungen. Und wenn wir erst, was in Kürze zu
erwarten ist, die bunte Photographie haben werden,
werden Millionen bunter Naturabklatsche das Volk
überfluten. Auch diese werden zum Schauen, zur
Kunst erziehen. Es bleibt das einzige Mittel, daß
das Volk sehen lernt, immer wieder sehen, um auf
der Höhe des Geschmacks zu lernen was Kunst ist,
um durch solche Befruchtung die neuen Schaffen-
den aus seinem Acker zu reifen.

So sehen wir einen enorm sich verbreiternden
Horizont. Ein langsam sich hebendes Niveau.
Einen Vorgang, der aber die höhere Kunst
in die Tiefe zu ziehen scheint.

Mir scheint aus alledem nur ein Schluß mög-
lich: die wirkliche Kunst muß noch höher getrieben
werden. Über Vielem, das früher als Kunst galt
und jerjt nur noch als Kunstfertigkeit erscheint
und nur mehr als Handwerk, muf3 eine neue
Kunst erstehen, eine neue Persönlichkeitskunst,
der reife neuartige Ausdruck neuer großer Geister
der Zeit. Das Leben ist, die Kunst bedeutet noch
etwas. Auf das Wie kommt es an, zu unserer Zeit
mehr als je. Und mir scheint, grade das wird dort,
wo es darauf ankommt, ganz außerordentlich ver-
nachlässigt. — Baum bleibt Baum; ich kann eine
Studie daraus machen oder ein Bild, das für die
Ewigkeit Leben predigt. Tier bleibt Tier; ich kann

Kitsch oder Verzerrung daraus machen, oder ich
kann den Urtrieb der Erdengewalt daraus sprechen
lassen. Auch die Malerei ist Dichtung, Geistes-
geschichte, Gefühlsmacht. Wir malen alle zu
viel, wir bilden zu wenig. Wir nehmen die Natur
auseinander in zahllose verflachte Einzelheiten und
wir ringen der Einzelheit nicht genug Ganzes ab.

Ein großer Fehler ist — und das gilt z. T.
von allen Künsten — wir sprechen zu viel aus,
auch in der Malerei. Ein seltsames Spiel der
Weltordnung: die Welt will sich erschauen, aus-
sprechen, darstellen - und wo sie es zu deutlich
tut, im descriptiven Wort des Romandichters, im
Naturabklatsch des Malers, da schweigt sie nüch-
tern. Die große Kunst gestaltet das Geheimnis-
volle, die kleine Kunst die Welt der Wirklichkeit.
Der große Künstler muß in der volkommenen
Darstellung des Wirklichen unendlich weiter gehen
als der kleine Realist und muß doch Alles das nur
zur Darstellung des Unaussprechlichen benutzen.

In der Kunst wirkt, was zwischen den Dingen
und hinter den Bildern liegt, mehr, als was sie
sagen und zeigen. Und das ist der Geist, das
Gefühl, das große Schwingende, das in uns Allen
lebt und ewiger Urquell des Lebens ist. Große
Geister haben das in die einfachen Worte ge-
prägt: Liebe — Leben — Göttlichkeit — Menschen-
tum. Mir scheint, das künftige Jahrhundert kann
das Wort Kunst zum großen Weltlicht machen.

MÜNCHEN-NYMl'HENBURG. GEORG MUSCHNER.

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Professor C. O Czeschka. Ohrgehänge,
in Gold und Bernstein.

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