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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 23.1908

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Die Einheit der Architektur
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https://doi.org/10.11588/diglit.6701#0255

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Die Einheit der Architektur.

und des persönlichen Stiles als auch in dem wohl-
gegliederten Aufbau, zu dem nicht nur die Technik
und die landläufige Ästhetik die Bausteine geliefert
hatten, sondern jene höhere allgemeine Kultur-
auffassung, die immer noch erst in wenigen Köpfen
vorhanden ist. Diesen leßteren ist ja nun zwar
das von Muthesius Gesagte keine neue Offenbarung
mehr; aber es ist eben dringend nötig, daß zur
allgemeinen Einsicht werde, was hier so über-
zeugend hergeleitet ist, dag nämlich alles Schaffen
zwecklicher Art nicht aus Befolgung vorausge-
nommener ästhetischer Vorschriften, Rezepte und
Gesetje erst künstlerischen Charakter annimmt,
sondern dafj all solches Schaffen aus der natürlichen
Eigenart des Menschen von selbst die ästhetische
Form sich bildet, kraft des uns innewohnenden rhyth-
mischen Gefühles, und daß daher der Ingenieur-
bau gerade so Kunst werden kann wie der Hausbau.
Vielleicht wäre gerade hier noch eine stärkere Her-
ausarbeitung des „Werden kann" für die Laien zu
wünschen gewesen. Denn diese sind ja eben zur
Zeit so sehr des Zutrauens zum eigenen Urteil bar,
daß sie sich nun unter einen neuen mißverstandenen
Lehrsarj ducken könnten: der Gebildete muß auch
alle Ingenieurwerke schön finden, weil er sich schon
den Schönheitsgeseljen des Eisenstiles angepaßt
hat. Es ist eben zu bedenken, daß dank unserer
philologischen Schulung auch den Ingenieuren oft
genug das eingeborene rhyth-
mische Gefühl verstaubt und ver-
kümmert worden ist. Das ist auch
nichts weiter Neues, Muthesius
deutet es sogar selbst schon an;
es mag aber aus volkserziehe-
rischen Gründen doch noch einmal
hervorgehoben werden. Ebenso
sei beiläufig noch auf ein Gebiet
hingewiesen, das Muthesius nicht
besonders berührt hat, das ihm
aber noch besonders schlagende
Argumente hätte geben können:
den Schiffsbau. Hier möge der
Laie zunächst lernen, wie Schön-
heit aus unbefangener Versenk-
ung in die Aufgabe und ihrer
Durchdringung so zu sagen von
selbst kommt und andererseits
wie nötig die Lehre von Muthe-
sius ist, da auch der so Imposan-
tes schaffende Schiffsbauer sich
heute noch den modernen Innen-
architekten herbeiholt, um seinen
Räumen nun das Modekleid nach
dem Herzen der Kajüte-Passagiere
umzuhängen. Hier spielt nun frei-
lich die Frage vom Schmuck

hinein, eine große und widerhaarige ästhetische
Frage, die Muthesius um der Einheitlichkeit seines
Gedankenaufbaues willen ausgeschaltet hat. Auch
ich will sie hier nicht aufrollen, denn man wird
darin Muthesius durchaus zustimmen können, daß
zunächst alles künstlerische Schaffen auch ohne
Schmuck möglich ist, und daß gerade eine kul-
turelle Erneuerung unserer Kunst gerade nur durch
Abkehr vom Schmuck und Rückkehr zur rhythmisch
(im weitesten Sinne) gestalteten Urform möglich
sein wird. Aber vielleicht reizt es zu einer Erwide-
rung, wenn ich behaupte, daß die Sachlichkeitskunst
niemals die letjte sein wird, weil — ein Beispiel
statt einer langen Deduktion — troty der ledernen
Sachlichkeit unserer Kleidung die Gardenie im
Knopfloch nicht überwunden ist und die neuer-
standene „schöne" Weste das Schmuckbedürfnis
sogar des Mannes wieder offenbart.

Diese Abschweifungen sollen keine Kritik
abgeben, sondern nur beweisen, zu welchen Ge-
dankenketten der Vortrag anregen kann. Möge
man namentlich den ausgezeichneten Schluß-
betrachtungen von Muthesius nachgehen, die un-
widerleglich klarlegen, daß eine neue Kunst nur
aus einer wiedergewonnenen echten Allgemein-
kultur hervorgehen könnte. Es wird dann jeder
einzusehen beginnen, daß auch der Laie sein Teil
zur Gesundung unserer Kunst tun kann. h. s.

architekt wtlh. frankel

Haupt-Einfahrt an der Landstraße.

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