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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 23.1908

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Lux, Joseph August: Ein ernstes Wort über den kunstgewerblichen Nachwuchs
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https://doi.org/10.11588/diglit.6701#0278

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Ein ernstes Wort.

schaft an, die ihn nicht bewertet, die Stadt,
die seiner Entwicklung nicht förderlich sei,
er klagt alles an, nur nicht sich selbst. Er
sollte nun in der Praxis Phantasie betätigen,
und hat keine; er soll ein Können beweisen,
das er eigentlich nicht erworben, nicht aus
sich, aus der Erfahrung, aus der Beobachtung,
aus dem eigenhändigen Probieren gewonnen,
sondern nur von seinem Lehrer geborgt und
in abgeschriebenen, zahllos variierten Ent-
würfen quittiert hat. Es tritt die harte, un-
erläßliche Forderung ein, von vorne anzu-
fangen, bescheiden zu sein und zu lernen,
lernen, lernen, und zwar diesmal auf dem
einzig fruchtbaren Weg der Autodidaktik, die
jeden Forlschritt, jede Erkenntnis, oder jeden
Irrtum in Eigenbesitz verwandelt. Wenn mehr
vorhanden ist, als bloß das bischen Talent,
das bald jeder hat, und noch zu keinen künst-
lerischen Anwartschaften berechtigt, wenn
also noch die Kraft zur Selbstzucht da ist,
kann's glücken. Tüchtigkeit und Persönlich-
keit kann erst entstehen, wenn der Allge-
meinbesitz von Talent durch den Charak-
ter potenziert wird, der allerdings mit zu
dem seltensten gehört, was die Welt zu
bieten hat. Talent ohne Charakter liefert
verfehlte Existenzen, Dilettanten, das auf
den Akademien und Kunstschulen gezüchtete
Proletariat. Ist die Schule daran schuld ?
Dann müßte man sie überhaupt zusperren,
eine Forderung, die dem Kind mit dem
Bade sehr ähnlich ist. Die Schule hat noch
keinen gehindert, eigene Kräfte zu ent-
falten, wenn sie vorhanden waren. Und die
beste Schule hat nicht verhindern können,
daß die Halbtalente zum »Kitsch« herunter-
gekommen sind, was ebenfalls zum gewöhn-
lichen Verlauf der Dinge gehört. Es wäre
nun sehr verlockend und gern gebilligt, die
üblichen Klagen über die Schulen, nament-
lich über die Kunstgewerbeschulen und ihre
Mängel anzustimmen, die, wie allgemein an-
genommen wird, den Untergang sovieler
Talente verschulden. Ich bestreite das. Ich
finde im Gegenteil, daß diese Schulen alle
viel zu gut sind, daß sie es den Jungen viel
zu leicht machen, ihnen die Kost viel zu
sehr vorkauen, als daß die Jugend eigene
Kräfte entwickeln könne. Was ist denn er-
reicht worden durch die Berufung jener nam-
haften Künstler, die als Autodidakten ihren
Weg gemacht haben? Es ist erreicht worden,
daß viele der Jungen eifrige Plagiatoren ihrer
Lehrer geworden sind, daß sie des eigenen
Nachdenkens, der Selbstanstrengung, des

1909. iv. c.

Forschens und Erfindens enthoben wurden,
daß sie rezeptmäßig anwenden, was ihre
Meister aus eigener Kraft errungen oder er-
kämpft haben, und daß sie es zumeist falsch
oder doktrinär langweilig anwenden. Und
das ist erreicht worden, daß die neue Jugend
im Leben nicht bewähren wird, was von ihr
erhofft wurde, wenn nicht durch irgend ein
Wunder die rebellische Kraft der Einzelnen
geweckt und zur Selbstentfaltung gebracht
wird. Wir können nicht annehmen, daß
noch Wunder gewirkt werden, am wenigsten
am offenen Markt, wir können höchstens
annehmen, daß da und dort eine wirklich
eigenartige Kraft nach Selbstdarstellung ringt,
und ein Wunder zeugt, das zweifellos fern
von der Schule sich ereignen wird.

Sensibilität und Unfruchtbarkeit, davon
zeugen die Schülerarbeiten zum allergrößten
Teil. Wir lernen die Intensität des Lehrers
kennen, nicht jene des Schülers. Vom Jünger,
der sich der Kunst widmet, wissen wir nur,
daß er dieser oder jener Schule angehört.
Wir erkennen es auf den ersten Blick, nament-
lich wenn die Schule eine größere Berühmt-
heit genießt. Aber mit dieser Erkenntnis
ist der Jünger meistens geliefert. Originalität
aus zweiter Hand; wenn sie nur die Vorzüge
des Vorbildes, dem der Schüler beharrlich
nacheifert, allein darböte. Wenn der Schüler
den Meister darin doch bemeisterte! Ge-
wöhnlich aber sind es die Schwächen des
Lehrers und Meisters, die uns in den Ar-
beiten seiner Schüler unverhüllter entgegen-
treten. Da liegt's. Man kann ja auch auf
dem Standpunkt stehen, daß nicht alle zum
Meister geboren sind, daß die meisten Gesellen
zu bleiben und des Meisters Reformwerk als
dienende Hände am neuen Aufbau der Welt
im kleinen und einzelnen durchzuführen haben.
Daß sie, die namenlosen Nachfolger, als Träger
des sachlichen Inhaltes der übernommenen
Gedanken fungieren, solange wenigstens bis
ein neues Genie kommt und der Kunst einen
neuen Sinn, oder der lebenden und der nach
uns kommenden Generation eine neue Auf-
gabe, ein neues Ziel, ein neues Ideal gibt.
Ich finde aber, daß in der Regel nicht der
sachliche Inhalt der Lehre, der Wesens-
kern, sondern vielmehr die persönliche Hand-
schrift, die Manier, die Pose des Meisters von
den Schülern mit heißem Bemühen abgeguckt
wird, die Affektation, nicht der ganz unroman-
tische verzehrende Forscher- und Erfinderfleiß
des meisterlichen Lehrers oder lehrenden
Künstlers. — joseph aug. lux.

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