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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 23.1908

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Klein, Rudolf: Vom Wesen der künstlerischen Begabung
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https://doi.org/10.11588/diglit.6701#0319

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Vom Wesen der künstlerischen Begabung.

ARCHITEKT CARL WITZMANN—WIEN.

Schlaf-Zimmer in Ahornholz mit Vergoldung.

Ausgeführt von Carl Vogel—Wien.

der Welt zur Persönlichkeit herausmeißeln,
-hämmern, -ziselieren: Das wäre das eigentliche
Verdienst des Genies, dem die Früchte seiner
Erkenntnis wahrlich nicht mühelos in den Schoß
fallen. Es wäre sein Verdienst, so nicht die
Annahme berechtigt, daß auch die hiezu nötigen
moralischen Qualitäten, die des Willens, ein
Geschenk der Gnade und von Anbeginn an
den Stärkegrad des Intellekts gebunden seien.
Aber auch wieder sahen wir manchen scheitern,
dessen Gaben reicher waren als die Vieler, die
die Ruhmesstaffel emporstiegen: es fehlte ihm
wohl, was ich vorhin Charakter nannte. Doch
nicht einmal als moralisches Manko. Denn hier,
wo der Charakter sich allein als Willensantrieb
auf die Kunst und ihre Produktion richten soll,
schließt sein Fehlen gute Eigenschaften im
sittlichen Sinne nicht aus, ja sind solche ihr
oft im Wege. Bringt doch viele allein die Rück-
sichtslosigkeit ans Ziel, und manche Eigenschaft,
die wir nicht gut nennen; sodaß man zur An-
nahme gedrängt wird, die wahre Größe um-
schließe alle Eigenschaften, die zum Ziele führen,

auch die minderwertigen, damit die eine der
andern die Wage halte. Denn wo nur eine
vorherrscht, ist die Gefahr schon nahe, wo der
künstlerische Egoismus nicht dominiert.
Hier sehen wir einen von den Früchten des
Genusses angezogen, und als er zur Be-
sinnung kam, hatten ihn die Reize einer Phryne
so tief in die Sümpfe des Fleisches gelockt,
daß nur noch die Schwungkraft eines Adlers
ihn emporzuziehen vermocht hätte — und er
beginnt, sich seine Resignations-Philosophie zu
zimmern —, dort strich einer die Segel, weil
er ein zu weiches Herz hatte und die Rück-
sicht auf den Nächsten ihn auf den Erfolg
verzichten ließ. Ja. es mag solche geben, die,
angewidert vom Anblick des Kampfes und
hinreichend befriedigt nur sich im Erkennen
des Daseins zu genießen und das Ich zu be-
reichern, verkannt und ungenannt dahin leben,
als wirkliche Kulturschöpfer und Träger, indem
sie den ganzen Reichtum ihres Wesens prak-
tisch ins Leben übertrugen, ihre Umgebung un-
erhört beschenkend. Sie gehören zu jenen Sei-
 
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