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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 23.1908

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Bethge, Hans: Karl Walser - Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.6701#0355

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KARL WALSER-BERLIN.

In Berlin leben ein paar Brüder, beide jung,
beide liebenswerte Künstler von ungewöhn-
licher Begabung, beide in der Schweiz gebürtig:
Karl und Robert Walser. Robert ist ein
Dichter, er hat einen Roman »Geschwister
Tanner« geschrieben, ein stilistisch lauteres
Buch romantischer Art, ganz getränkt in
lyrisches Gefühl und gar nicht romanhaft in
seinen Geschehnissen, sondern sehr einfach,
fast wie ein Tagebuch. Dann hat er lyrische
Verse geschrieben, und sie sind fast noch
holder als der Roman, sie sind entzückend!
Auch gibt es einen Band Skizzen von ihm,
»Fritz Kochers Aufsätze« genannt, von einer
bestrickenden Anmut und ganz erfüllt von dem
seelenhaften Gefühl eines Jünglings.

Karl Walser ist Maler, man hat seinen
Namen zuerst in Verbindung mit der Bühne ge-
hört. Er hat Bühnendekorationen geschaffen,
besonders für die »Komische Oper« und die
Reinhardtschen Theater in Berlin. Ich glaube,
»Hoffmann's Erzählungen« waren das erste
Bühnenwerk, dem er seine Kräfte als »Deko-

rationsmaler« gewidmet hat. Auch die Kostüme
für die verschiedenen Stücke hat er entworfen.
Man muß diese kolorierten Kostümzeichnungen
sehen, es sind kleine Kunstwerke von ganz
apartem Reiz und selbständigem Wert, man
muß an den Charme der gestochenen und
illuminierten Kostümbilder denken, die das
letzte Viertel des achtzehnten Jahrhunderts,
besonders in Paris, mit so viel Grazie hervor-
gebracht hat. Walsers Figurinen sind kolo-
ristisch von außerordentlicher Delikatesse, man
merkt, wie er sich an den schönen Mode-
stichen des ancien regime gebildet hat. Über-
haupt ist er ein Künstler, der mannigfache
Beziehungen zu den Stilen verrauschter,
kulturell stark entwickelter Epochen hat. Man
sehe seine schönen Radierungen zu den Liebes-
briefen der Ninon de Lenclos. Aus diesen
Blättern weht uns die ganze Grazie des Rokoko
mit bestrickendem Duft entgegen. Die Radie-
rungen sind technisch einwandfrei und von
einer naiven, mit glücklicher Hand hin-
gegriffelten Selbstverständlichkeit. Szenen der

1909. VI. 1.
 
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