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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 23.1908

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Bethge, Hans: Karl Walser - Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.6701#0358

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Karl Walser—Berlin.

KARL WALSER—BERLIN

ENTWURF ZU EINER WAND-
MALEREI »DER ARZT«.

behagliche Biedermeierzeit, zu der Walser
stilistische Beziehungen hat. Damen mit
Reifröcken und dicken Locken an den Schläfen
herab, Herren in engen, hellen Beinkleidern
und farbigen Fracks: das ist eine Atmosphäre,
die ihn lockt. Er hat Wandzeichnungen
für das Landhaus des Verlegers S. Fischer
in Grunewald gemacht, die silhouettenartig
— Schwarz auf Grün — das Leben eines
Dichters schildern und von dem ganzen
Charme der Biedermeierepoche umflutet sind.
Es sind Ovale mit primitiven Szenen, über
die eine feine, wehmütige Ironie ausgegossen
ist. Krinolinen und Glockenröcke bewegen
sich durch reizende Landschaften, in denen
man Urnen, Teiche, Brücken und Weiden-
bäume sieht. Alles ist von einer ganz
flächigen, dekorativen Wirkung und macht
einen farbig bewegten Eindruck, trotz der
geringen farbigen Mittel. Etwas Weltentrücktes,
Duftiges, poetisch Beschwingtes ist in diesen
einfachen Bildern, es ist, als ströme einem
der Duft von Lawendel und Flieder und von
alten, vergessenen, ganz verblaßten Seiden-
stoffen daraus entgegen; und eine Melancholie
ist da wie in einem alten Liebeslied zur Laute.

Walsers Bühnen-Dekorationen sind farbig
bestrickend und zeichnen sich durch eine

glückliche Verteilung und Anordnung der
Flächen aus. Aber das allein macht es
schließlich nicht, es kommen bei diesem
Maler starke lyrische Gefühlswerte hinzu:
er ist ein Poet, ohne literarisch zu sein.
Er ist ein lyrischer Primitiver, auch in
seinen Bühnendekorationen. Welche wunder-
vollen Bilder hat er uns in »Carmen« auf
der »Komischen Oper« und in »Romeo und
Julia« bei Reinhardt gegeben. Als an eins
seiner allerschönsten Bühnenbilder denke ich
an das Schlußbild in »Romeo und Julia«
zurück, an das Grabgewölbe. Er hatte die
Bühne geteilt, unten sah man in das Gewölbe,
und oben war der nächtliche Friedhof mit
dem Mondlicht und schief stehenden Kreuzen
und ein paar wundervollen mächtigen Trauer-
weiden, deren Rhythmus die ganze schicksals-
schwere Stimmung dieses letzten Bühnenaktes
wiederzuspiegeln schien.

Karl Walser ist ein phantasievoller Künstler,
erfüllt von lyrisch-poetischen Gesichten und
begabt mit Humor und Ironie. Ein träumerischer
Erfinder primitiver Linien, der sich tief in
unser Gefühl einstiehlt durch die Anmut
seiner holden Erfindungen, durch die ent-
zückend feinbeschwingte Art seiner malerischen
Darstellung. —

HANS BETHGE.

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