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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 35.1914-1915

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Storck, Willy F.: Linie und Form: Ausstellung von Zeichnungen und Plastiken neuzeitlicher Bildhauer in der Kunsthalle zu Mannheim [und] I. Plastiken
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https://doi.org/10.11588/diglit.7013#0043

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Linie und Form.

nun nicht dazu dienen, Kategorien abzugren-
zen, denen die einzelnen Bildhauer einzuglie-
dern wären; sie sollte nur Strebungen und
Strömungen auseinanderlegen, wie sie in der
gegenwärtigen Plastik sichtbar werden. Aller-
dings ist festzustellen, daß die (expressive) Ver-
geistigung der plastischen Form in den besten
Schöpfungen die derzeit weiteste Ausdehnung
gefunden hat. Ausdrucksprobleme haben Form-
probleme zurückgedrängt. Die physische Har-
monie des Körpers, wie sie die Antike gebil-
det, ist der psychischen Heraushebung gewichen,
wie sie auch ägyptische oder indische Kunst
kennzeichnet. Und in demselben Maße, in dem
dies neue Fühlen und Wollen durchbrach, ver-
schoben sich die Stützpunkte, die man — wie
stets — in der Kunst vergangener Stilperioden
suchte. War noch Hildebrands Problem der
Form durchaus bestimmt von der Kunst des
Parthenon, so sind neue Erkenntnisse und For-
men bestimmt von der plastischen Expressivität
gotischer Kathedralen oder indischer Tempel.
Doch wie weit sind diese neuen Werke — bei
aller Einfühlung in das Wesen verwandter
Kunst — entfernt von der spielerischen Dürr-
heit der Präraffaeliten. Wohl hat Maillols
gefesselte Form von ägyptischer Gebundenheit

inneren Zwang (und auch Befreiung) gefunden;
lebt indes nicht in dieser sitzenden Frau (Abb.
S. 41) Fleisch von unserem Fleisch, Geist von
unserem Geist? Und Kogans Reliefs (Abb.
S. 33), sind sie nicht trotz aller Verwandtschaft
mit indischen Tempelreliefs von vollkommen
zeitgemäßer, sensibler Rhythmik? Wie ist aus
ferner Erinnerung an altdeutsch-eckige Holz-
figuren eine neue lebensfähige Schöpfung von
der Hand eines Langer (Abb. S. 31) entstan-
den! Dies eben ist das Lebensvolle, Kräftige
und Zukunftsstarke dieser neuen Kunst, daß
die formale Durchdringung bestimmt ist von
einem heißen, gärenden, sehnenden Lebens-
gefühl, das von sich aus diese Eckigkeit, Sprö-
digkeit und Gestrecktheit verlangt, Elemente,
denen man in Schöpfungen der Architektur
wie der Malerei gleichermaßen begegnet; und
um weiterzugreifen — auch in der Dichtung.
Spricht nicht verwandter Geist aus den von
gotischer Formensteilheit bestimmten Figuren
Minnes, van de Veldes Kathedralen-Architektur
und Claudels weihevoller Dichtung. Alle diese
Schöpfungen verbindet ein Gemeinsames, das
sie als Zeugen und Ergebnisse dieser, unserer
Zeit erscheinen läßt: ein starkes Lebensgefühl
und Ausdruckskraft, Lebendigkeit und seelische
 
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