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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 35.1914-1915

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Joseph, Mely: Eine "Deutsche Mode"
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https://doi.org/10.11588/diglit.7013#0115

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EINE „DEUTSCHE MODE".

aß man bei uns endgültig davon loskommen muß, sich nach der Pariser Mode

■L' kleiden zu wollen, wurde mir nie klarer wie in Paris selbst. - Die Pariser
Mode ist den Pariser Damen vorzüglich angepaßt. Um die Toilette zu vervoll-
ständigen, werden auch am Gesicht entsprechende Korrekturen vorgenommen: man
pudert sich, man schminkt die Lippen, man färbt die Augenbraunen und das Haar,
wenn es die Harmonie des Ganzen erfordert. Und alle diese Maßnahmen gelten
eigentlich für sittsam, sie gehören dort zum Volkscharakter. Die Pariser Mode gehört
nach Paris — in die Großstadt Paris, wo man viel auf der Straße ist, wo es nie so
recht kalt ist und wo man eigentlich wenig oder kaum reist. - Ich spreche jetjt
nicht von den Verhältnissen der oberen Zehntausend — ich spreche von den Bürgern,
dem Mittelstand, kurz, von „der" Pariserin. — Denn schließlich ist ja das Wesent-
liche an einer Mode, daß sie ein jeder trägt, jeder tragen muß, wenn er nicht auf-
fallen will. Eine gewisse Uniformierung, ein gewisser Stil muß durch's Ganze gehn,
will man von einer Mode sagen, daß sie eingeschlagen ist. — Dies Kriterium war
vielleicht bei uns in Deutschland seit der Krinolinen- und Raffrockzeit nie mehr so
recht der Fall. Wohl ließ sich die eine Dame ein Kleid schneidern nach Pariser
Modevorbildern — die andere kaufte sich einen „Modellhut" aus Paris — aber
„pariserisch" trug sich eigentlich keine; sie wäre ja dadurch zu sehr aufgefallen!
Die Pariser Mode hat nämlich dem deutschen Volkscharakter nie entsprochen; sie
hat deshalb als „Mode" in Deutschland nie bestanden. — — — Ich möchte nun die
Punkte zusammenstellen, auf welchen sich vielleicht eine neue deutsche Mode
für den geschmacklich gebildeten Mittelstand aufbauen könnte:

Da wäre vor allem folgendes Moment zu erörtern: In Deutschland zieht sich
keineswegs alles Leben in der Reichshauptstadt zusammen. Unendlich viele Zentren
- Arbeits-, Geistes-, Kunstzentren - sind im ganzen Reich zerstreut und machen
die deutsche Kultur aus. - Von der Kleidung auf dem Lande will ich absehen; häufig
hat sich hier die Nationaltracht erhalten oder eine Arbeitstracht, die den Lebens-
bedingungen entspricht, ist an deren Stelle getreten. — Aber eine Mode für die Städte
gilt es zu schaffen, die vielen deutschen Städte von 100 000 und mehr Einwohnern!

Eine Mode für die deutschen Frauen, die keineswegs zierlich und klein wie die
Französinnen, sondern oft groß und stark gebaut sind!

Eine Mode, die dem Wesen der deutschen Frau entspricht, die ihre
blonden Haare blond, ihre schwarzen Zöpfe schwarz lassen will und der das Pudern
und Schminken fern liegt!

Eine Mode, die den Geist unsrer Zeit verkörpert, einer ernsten und schweren
Zeit, auch dann, wenn der Krieg vorüber sein wird.

Eine deutsche Mode, durch welche der gleiche Zug gehn soll wie durch
das deutsche Kunstgewerbe überhaupt, der Zug nach einfachen Zweckformen, —
wo die Konstruktion nicht weggetäuscht, sondern betont sein soll; der Zug nach
Materialwirkung; der Zug nach Einheitlichkeit und Farbenharmonie!
 
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