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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 35.1914-1915

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Raphael, Max: Der Tastsinn in der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7013#0178

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Der Tastsinn in der Kunst.

so kann es der Plastiker mit dem Tastsinn
halten. An Rimbauds Vokalgedicht erinnert
mich die folgende Szene, die ich bei einem
unserer bedeutendsten jungen Bildhauer, bei
Kurt Erwin Kroner erlebte. Aus einer Gruppe
kleiner Entwürfe, die ich betrachtete, nahm er
einen heraus und reichte ihn mir. Mein Blick
wurde noch fragender als er sagte: das ist ein
Symbol. Schließlich nahm er das kleine Ding
in die Hand und umschloß es dicht mit seinen
Fingern. Indem ich sah, wie beides restlos
sich in einander fügte, begriff ich und wollte
es nun meinerseits mit der Hand umfassen.
Daß sie nicht mehr ineinander paßten, zeigte
uns die Subjektivität des psychischen Äquiva-

lentes der einzelnen Tastvorstellung. Aber
hierin kommt die Plastik mit allen anderen
Künsten überein. Auch die psychisch - mora-
lische Interpretation des einzelnen Klanggebildes
oder der einzelnen Farbe differiert von Subjekt
zu Subjekt. Der Plastik selbst erwächst hieraus
keine Einschränkung, vielleicht aber — wie ich
nur andeutend beifüge — dem Kunstgewerbe.

Der historisch gebildete Leser wird nun ver-
muten, daß ich der Ansicht Herders beitrete,
der in seinem Reisejournal das Getast als den
ersten Sinn betrachtet hat. Es liegt mir fern,
eine Rangordnung der Sinne zu versuchen wie
die Sensualisten, die in dem Sinn selbst den
Produzenten des künstlerischen Gebildes sehen.

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