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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 35.1914-1915

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Schutz dem Kunstbesitz in Feindesland
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https://doi.org/10.11588/diglit.7013#0202

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Schutz dem Kunstbesitz im Feindesland.

wickelter wird, je länger man über sie nachdenkt,
— deshalb will ich auch an dem ersten Gefühl, das
diese Frage in mir weckte, festhalten; es ist wohl
ebenso berechtigt, wie die nachfolgenden Verstandes-
oder Nütjlichkeitserwägungen.

Ich bin nicht so weichlich, um das harte Recht
des Siegers, der auf Tod und Leben um seine
Existenz gekämpft hat, nicht anzuerkennen. Ist es
dem Sieger möglich, das ganze Land zu nehmen,
wenn ihm dies für seine Weiterexistenz und den
Friedensschuß seines Staates notwendig ist — so
ist das eben Kriegsrecht. Kraft dieses Rechtes, das
ja auf Gegenseitigkeit beruht, darf man den Gegner
in seinen materiellen Mitteln so schädigen, daß er
wehrunfähig wird. Ich trete also gar nicht weich-
mütig an obige Frage heran.

Es ist Kriegsrecht, die materielle Macht des
Gegners bis zu seiner Erschöpfung zu bekämpfen,
aber vor den geistigen Werten eines Volkes soll
und muß das Kriegsrecht Halt machen — ja es
muß sogar Halt machen, da es dem geistigen
Wesen eines Volkes gegenüber seine Macht ver-
liert. — Kunstwerke sind Dokumente der geistigen
Werte eines Volkes — der materielle Wert, sein
Stoff aus dem es gebildet ist, hat für den Krieg
nicht den geringsten Wert, aber als geistiger Besirj
kann ein Werk am meisten an dem Ort, da es
entstanden ist, verstanden d. h. geistig erfaßt,
segensreich und friedenfördernd wirken. Die Kunst,
die auf tieferer Empfindung des Menschengeistes
ihren Ursprung nimmt, kann ja ein Verständnis
zwischen den Völkern bilden; auch dort, wo die aus
Begriffen hervorgehende Sprache trennt, wo auch
die Rasse als fremdesfeindlich erscheint. Meiner
Meinung nach, die angeregte Frage betreffend,
sollte ein Sieger die geistigen Werte, wie sie die
religiöse Empfindung aufgebaut hat und wie sie in
der Kunst sich herausgebildet haben, nicht stören;
hier ist alles gewaltsame Vorgehen unklug, denn
es stößt auf die unbezwinglichen Mächte, die nicht
von dieser Welt sind.

Was ist damit gewonnen, wenn wir, sage ich
einmal die belgischen Museen, vielleicht auch Kir-
chen leeren, um damit unsere deutschen Großstadt-
museen zu füllen? Die großstädtische Sammelwut
hat doch schon im eignen Lande angefangen kunst-
schädlich zu wirken, indem sie kleineren Orten ihren
Kunstbesiß weggenommen hat, um ihn in den
Museen aufzustapeln in der Meinung, ein Werk
gelte erst, wenn es im Museum mit einer Nummer
versehen sei. Man hatte kein Vertrauen für die
stille Wirkung eines Kunstwerkes in seiner Unbe-
schriebenheit. Kunstwerke sind aber desto mehr an
ihrem richtigen Plaße je mehr sie sich an der Stätte
befinden, wo sie geschaffen worden sind; dort sind
sie Zeugnisse von der Kultur des Volkes und sind
wohl Heiligtümer des Volkes zu nennen. — Aus

ihrem natürlichen Zusammenhang gerissen, werden
manche von ihnen auf den Rang einer Ware herab-
sinken, die nach Geld gewertet wird, — oder sie
werden für das Publikum eine Museumsnummer.

Die politische Einteilung von Europa mag sich
nun so oder anders gestalten, größer wird Europa
nicht, und so werden die Wanderungen zur Er-
reichung von Kunstwerken für ihre Freunde immer
noch möglich sein. Das Wort „Wer den Dichter
will verstehen, muß in des Dichters Lande gehen"
wird auch bei Bildwerken, sogar auch bei Kathe-
dralen seine Gültigkeit bewahren, — oder denkt
man vielleicht daran auch solche zu sammeln und
zu leichterer Übersicht und Vergleichung in einer
Ausstellung zu vereinigen? Wie bequem müßte
das sein! Doch ohne Spaß, ich erschrecke nicht
davor, wenn Kunstwerke in der Not des Kampfes
beschädigt werden oder der Zerstörung anheim-
fallen; das ist keine Barbarei, auch nicht bei dem,
der das Kunstwerk benüßt, um sich zu schüren.
Aber der Gedanken, daß man einem Volk, einer
Stadt die größten Friedensdokumente seiner Arbeit
wegnehmen möchte, um sie in Museen zu ver-
pflanzen, das hat einen Beigeschmack von Bar-
barenart, und wenn früher Eroberer dies getan
haben, so dürfen wir dies nicht nachahmen, es ist
gegen unsere deutsche Art, denn wir wollen wahr-
haftige Kunstfreunde sein und sie dort schüren,
wo wir sie finden. Wenn der Friede in Europa wie-
derkehrt, mag der deutsche Wanderer sich freuen,
in allen Landen volksversöhnende, friedenverkün-
dende, trostgebende Kunstwerke anzutreffen. Sie
wirken, wenn sie auch an wenig beachteten Orten
sind, in ihrem stillen Zusammenhang mit ihrem
Ursprung doch stärker, jedenfalls aber wahrer als im
Lärm der Sammelstädte Berlin, Paris, London usw.

Indem ich so in dieser Frage meinem Gefühl
nach zu dieser Antwort komme, wie sie hier steht,
will es mir aber scheinen, daß es nicht nur eine
heikle Frage ist, sondern wohl auch eine der un-
nötigen, die wie noch viel wichtigere in dieser un-
geheuerlichen in Gährung befindlichen Zeit das Volk
aufwühlen und noch unruhiger machen als nötig.

Wir Deutschen dürfen die Besonnenheit und die
Gelassenheit in dem über uns hereingebrochenen
Sturm weniger als je verlieren, die sind im deut-
schen Wesen begründet und müssen den Helden-
mut begleiten und mit ihm vereint uns zum Siege
führen. Indem ich zum Schluß komme, scheint mir
die Frage sowohl wie auch die Antwort mindestens
etwas unzeitgemäß, sodaß ich mir die Mühe hätte

ersparen können." hans thoma.

»

Museumsdirektor K. E.OSTHAUS - Hagen äußert
sich in einer Zuschrift folgendermaßen:

„Es ist für mich keine Frage, daß Kunstwerke
Gegenstand einer Kriegsentschädigung sein können

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