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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 35.1914-1915

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Kleine Kunst-Nachrichten
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https://doi.org/10.11588/diglit.7013#0345

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Kleine Kunst-Nachrichten.

die Neuordnung des Wallraf-Richartj-Museums hat
Hagelstange mit ähnlichem Geschmack und Erfolg
vollzogen wie fast zur selben Zeit Tschudi in
München die denkwürdige Umgestaltung der alten
Pinakothek erzwang. Und wie es Tschudi nicht
vergönnt war, die letjte Feile an sein Werk zu
legen, so hat auch Hagelstange diesen leßten Ab-
schluß nicht mehr erleben sollen.

Die Wissenschaft besaß für Hagelstange Gren-
zen, über die er sich hinaussehnte. Seine will-
fähige Lebendigkeit des inneren Erlebens wurzelte
zu sehr im Künstlerischen. Daher drängte sein
Wille über das geschichtlich Gewordene, das vor
dem Urteil der Jahrhunderte Begründeten hinaus in
die lebendige Wirklichkeit. Neben der alten Kunst
hatte die neue in ihm einen begeisterten Förderer.
Und hier machte er nicht, wie altkluge Regel es
gebietet, an irgend einer beliebigen Stelle der Ver-
gangenheit Halt; er suchte auch in den künst-
lerischen Wirren der neuesten Kunst sich sein eigenes
Urteil zu wahren: eine Vermessenheit sonderglei-
chen, wie ihm von allen, die vermeinen, es wissen
zu können, bereitwilligst und angriffslustig bestätigt
wurde. Dennoch hat Hagelstange fast bis zulerjt
sich das Recht nachdrücklichen Eintretens für die
von ihm als wertvoll erkannten Kunstwerke nicht
verkümmern lassen. Auch das muß als sein Ver-
dienst anerkannt werden, ob man nun mit der von
ihm vertretenen Richtung übereinstimmt oder nicht.

Was Hagelstange für die künstlerische Kultur
Westdeutschlands getan hat, wird ihm unvergessen
bleiben. Berücksichtigt man, mit welcher Sorgfalt
er die Sammlung von Werken des 19. und 20. Jahr-
hunderts zusammengestellt hat, muß man vor der
Gesamtwirkung dieses Erfolges höchste Achtung
haben. Man kann mit voller Berechtigung sagen,
daß die meisten größeren Museen in Deutschland
unter den Werken der neuen Kunst unvergleichlich
mehr Mittelware und unkünstlerische Arbeiten be-
sitzen als das Wallraf-Richartj-Museum. Und es ist
sicherlich kein kleines Verdienst, eine Kunstsamm-
lung von Unkünstlerischem rein zu halten. Ein
Verdienst, das deshalb so hoch anzuschlagen ist,
weil stets hundert Gründe und hundert Menschen
vorhanden sind, die sich dafür einsehen, das Werk
eines lebenden Künstlers einer öffentlichen Samm-
lung zuzuführen. Nur rücksichtslose Willensstärke
kann hier der Kunst zum Siege verhelfen.

Aber selbst wenn man von dem allen absieht,
davon daß Hagelstange die altkölnische Malerschule
ordnete, daß er die italienischen Bildwerke, die
Bestände des 19. Jahrhunderts in vorbildlicher,
künstlerisch geschmackvoller Form aufhing, selbst
wenn man glaubt, daß er durch seine Erwerbungen
von Werken der neuesten Malerei über das Ziel
hinausgegangen sei, so bleibt allein infolge der
tatsächlichen Vergrößerung der künstlerischen Be-

stände des Museums reicher Gewinn. Dadurch, daß
Hagelstange es durchseQte und die Wege fand, die
Leibi-Sammlung des Geheimrats Seeger in Berlin
für Cöln zu erwerben, hat das Wallraf-Richart5-
Museum eine durchaus neue Bedeutung erlangt.
Das Museum hatte bisher nur Geltung, weil es die
Meisterwerke der Cölner Malerschule barg. Von
nun an konnte es, auch was die Malerei des neun-
zehnten Jahrhunderts anbetrifft, nicht mehr über-
gangen werden. An diesen bedeutsamsten Kern
der neuen Kunst schien sich gleichsam alles andere
anzuschließen, sodaß aus dieser Wechselwirkung
zugleich eine selbstverständliche Hebung der übrigen
Werke der neuesten Zeit erfolgte. Zwar ist die
Zahl dieser Werke, gemessen an der Leibi-Samm-
lung, nicht groß; aber es sind Werke von dauern-
der künstlerischer Bedeutung. Und vor allem, es
gelang Hagelstange, bedeutendste Werke als
Schenkungen dem Museum überweisen zu lassen.
Man denke nur an den wundervollen Courbet und
vergegenwärtige sich die Größe der Mittel, die
einer Stadt wie Cöln zur Verfügung stehen, um zu
erkennen, welche Bedeutung diese sich in der Stille
vollziehende, keineswegs dankbare Aufgabe für die
öffentliche Kunstpflege hat.

Wie Hagelstange den kleinen Kreis opferwilliger
Kunstfreunde zum Wohle seiner Sammlung zu
fesseln wußte, gelang es ihm zugleich auch, weite
Kreise der Bürgerschaft zur Beschäftigung mit künst-
lerischen Fragen anzuregen. Dafür erbrachten die
Ausstellungen des Cölnischen Kunstvereins über-
zeugenden Beweis, ebenso wie seine Vorlesungen
in der Cölner Handelshochschule. Und um auch dies
noch zu erwähnen: die Sonderbund-Ausstellung hatte
das unbedingt Gute, die Meinungen aufzurütteln,
zur öffentlichen Kenntnis zu geben, daß es in der
Kunst einen Kampf gab um die neue Form. Sie
war eine erste Anregung, Cöln auch über die
nächste Umgebung hinaus als Kunststadt zu kenn-
zeichnen; in dieser von ihren Überlieferungen zeh-
renden Stadt, so schien es jetyt, ist troty allem ein
lebendiges Mitschaffen an dem künstlerischen Gut
der neuesten Zeit möglich.

Die ganz einzige Verbindung von höchster be-
seelender Kraft, die Cöln sein eigen nennt, diese
seltsame Mischung des Vergangenen und Gegen-
wärtigen ist es, die in dem Wirken, dem Lebens-
werk Alfred Hagelstanges den ungewöhnlichen
Reichtum des Erfolges erzwang. Was immer er
wollte, eine Steigerung künstlerischer Interessen
war sein Ziel. Eine Einheit künstlerischer Auf-
fassung im Alten wie im Neuen. Diese Einheit
erkannte er als das, „was wir suchen, nicht nur
bloß in den Künsten, sondern für unser ganzes
Dasein. Aller Streit wird ja nur dafür geführt, wie
es uns gelingen kann, eine Einheit alles Denkens mit
dem vollen Leben zu finden." dr. g. e. lüthgen-cöln.

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