Max Liebermann—Berlin.
PROFESSOR MAX LIEBERMANN-BERLIN. GEMÄLDE »SCHUSTERWERKSTATT« (1881).
seine Schwankungen. Ich greife nach einer Er-
innerung. Ich weiß noch, wie in den neunziger
Jahren, als ich in München studierte, das Bild
in der Pinakothek „Die Frau mit den Ziegen"
wirkte. Man stand, seltsam gepackt, vor dieser
in der ganzen Pinakothek damals noch verein-
zelten Liebermannschen Art Malerei. Man
stand verblüfft, aber was sah man doch vor
allem? War es eine absichtsvolle neue Geste,
ein umstürzlerisches Programm, ein neuartig
erdachtes, aufrührerisches Kolorit, was sich
aufdrängte? Nein, was man sah, war — jetzt
können wir es uns ruhig gestehen — bloß ein
gut komponiertes und gut gemaltes Bild ! Ein
Stück Natur, einfach und schlagend im Augen-
blick festgehalten! Ein temperamentvoll und
eindringlich gemaltes, eindrucksvolles Motiv!
Man sah ein holländisches Bauernweib, über
ein Stück Düne gehend, zusammengebeugt in
der Energie des Auswärtsschreitens im Wind
und vorwärtsdrängend im Kampf mit einem
Ziegenbock, der sich widerwillig am Stricke
ziehen läßt, um noch ein paar Gräser abzu-
rupfen. Die Frau hurtig und ungeduldig und
— man erkannte es an irgend einer winzigen
Andeutung im versunkenen Profil — in Ge-
danken versonnen, der Bock breitbeinig und
gassenjungenhaft, ein köstliches naives Gegen-
stück zu der Alten, und beide zusammen eine
massige, große Silhouette, die diagonal in den
Raum wächst und dem ganzen Bild seine Rich-
tung gibt. Links aber, klein und allein im
breiten Rest der Fläche, trottet eine junge Ziege,
treu, als kopierte sie wie ein leibliches Kind
ihre Führerin. Und beides zusammengefaßt
und umrahmt von der hanfblonden Helligkeit
der Düne, von grauweißem Licht und freier
Strandluft. — Das Bild eroberte im Nu. Es
steigerte die Freude und Energie des Auges im
Beschauer, wie es auch nur aus gesteigerter
und aufs schärfste gespornter Kraft, zu sehen
und darzustellen, entstanden sein konnte. Man
PROFESSOR MAX LIEBERMANN-BERLIN. GEMÄLDE »SCHUSTERWERKSTATT« (1881).
seine Schwankungen. Ich greife nach einer Er-
innerung. Ich weiß noch, wie in den neunziger
Jahren, als ich in München studierte, das Bild
in der Pinakothek „Die Frau mit den Ziegen"
wirkte. Man stand, seltsam gepackt, vor dieser
in der ganzen Pinakothek damals noch verein-
zelten Liebermannschen Art Malerei. Man
stand verblüfft, aber was sah man doch vor
allem? War es eine absichtsvolle neue Geste,
ein umstürzlerisches Programm, ein neuartig
erdachtes, aufrührerisches Kolorit, was sich
aufdrängte? Nein, was man sah, war — jetzt
können wir es uns ruhig gestehen — bloß ein
gut komponiertes und gut gemaltes Bild ! Ein
Stück Natur, einfach und schlagend im Augen-
blick festgehalten! Ein temperamentvoll und
eindringlich gemaltes, eindrucksvolles Motiv!
Man sah ein holländisches Bauernweib, über
ein Stück Düne gehend, zusammengebeugt in
der Energie des Auswärtsschreitens im Wind
und vorwärtsdrängend im Kampf mit einem
Ziegenbock, der sich widerwillig am Stricke
ziehen läßt, um noch ein paar Gräser abzu-
rupfen. Die Frau hurtig und ungeduldig und
— man erkannte es an irgend einer winzigen
Andeutung im versunkenen Profil — in Ge-
danken versonnen, der Bock breitbeinig und
gassenjungenhaft, ein köstliches naives Gegen-
stück zu der Alten, und beide zusammen eine
massige, große Silhouette, die diagonal in den
Raum wächst und dem ganzen Bild seine Rich-
tung gibt. Links aber, klein und allein im
breiten Rest der Fläche, trottet eine junge Ziege,
treu, als kopierte sie wie ein leibliches Kind
ihre Führerin. Und beides zusammengefaßt
und umrahmt von der hanfblonden Helligkeit
der Düne, von grauweißem Licht und freier
Strandluft. — Das Bild eroberte im Nu. Es
steigerte die Freude und Energie des Auges im
Beschauer, wie es auch nur aus gesteigerter
und aufs schärfste gespornter Kraft, zu sehen
und darzustellen, entstanden sein konnte. Man