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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 39.1916-1917

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Hildebrandt, Hans: Franz Marc: Gedächtnis-Ausstellung in der Münchener neuen Sezession
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https://doi.org/10.11588/diglit.8535#0179

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Zugleich schafft sie wie die Form den geistigen
Ausdruck, scheint zart, jung und unschuldig,
wo das Reh durch wuchernde Blumen schlüpft,
und grausam, düster und lauernd neben den
unheilvollen Wölfen. Darum durfte Marc auch
wagen, Bilder zu malen, die jeden Gegenstandes
bar sind, wie die „Heiteren" und die „Spielen-
den Formen". Jenes (Sammlung Bernhard
Köhler) ist schlechthin beglückend: wer diese
Farben schaut, die aus Äther, reinster Flut und
Licht gewoben scheinen, muß allem düsteren
Sinnen entsagen. Ganz nahe darf man an Marcs
Gemälde treten, darf sie Stück für Stück ab-
lesen wie eine vielstimmige Partitur. — Dann
offenbaren sie den sonst nur erfühlten Reich-
tum der Farbe, deren Glut und Tiefe mit denen
mittelalterlicher Glasgemälde wetteifert.

Als Artillerieleutnant fiel Marc zu Beginn
des Jahres 1916. Schwer ward ihm die Ent-
sagung auf künstlerisches Wirken in den Tagen
der Vollkraft — als ganzer Mann fand er sich
mit ihr ab. Gesteigertes Menschentum ward
ihm, wie seine Briefe bezeugten, aus der großen
Prüfung, und er selbst ahnte und wußte um

gesteigertes Künstlertum. Wie er nach glück-
licher Rückkunft geschaffen hätte — wir er-
raten es nicht, und die Frage ist müssig. Denn
uns ist, auch was der Frühverstorbene hinter-
ließ, schon eine Erfüllung! hans hildebrandt.
£

"\^7"ann die Wolken ziehen, sind die Figuren,
* » welche sie bilden, ihnen nicht wesentlich, sind
für sie gleichgültig: aber daß sie als elastischer Dunst,
vom Stoß des Windes zusammengepreßt, wegge-
trieben, ausgedehnt, zerrissen werden; dies ist ihre
Natur, ist das Wesen der Kräfte, die sich in ihnen
objektiviren, ist die Idee: nur für den individuellen
Beobachter sind die jedesmaligen Figuren. — Dem
Bach, der über Steine abwärts rollt, sind die Strudel,
Wellen, Schaumgebilde, die er sehen läßt, gleich-
gültig und unwesentlich: daß er der Schwere folgt,
sich als unelastische, gänzlich verschiebbare, formlose,
durchsichtige Flüssigkeit verhält; dies ist sein Wesen,
dies ist, wenn anschaulich erkannt, die Idee: nur für
uns, solange wir als Individuum erkennen, sind jene
Gebilde. — Welche Erkenntnisart nun aber betrachtet
jenes .. allein eigentlich Wesentliche der Welt. .? —
Es ist die Kunst, das Werk des Genius. Schopenhauer.
 
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