„Nähe und Ferne".
PROFESSOR JOSEF HOFFMANN—WIEN.
»BÜFETT AUS GEBEIZTER EICHE«
in ihren Möglichkeiten viel zu eng umgrenzen.
Tatsächlich ist es mindestens ebenso wichtig,
unsere Ästhetik vom Naturalismus zu befreien,
wie die Kunst. Die landläufige Ästhetik verengt,
wie gesagt, die Auswahlsmöglichkeiten des
Künstlers im Bewußtsein des Publikums und läßt
auch dadurch in Dingen den Anschein der inne-
ren Notwendigkeit aufkommen, wo nur von
einer Einseitigkeit gesprochen werden dürfte.
So weit freilich scheinen wir heute doch wohl
zu sein, daß wir die Perspektive nicht mehr
für eine absolute Notwendigkeit künstle-
rischer Darstellung annehmen. Früher maß
man die Entwicklungsfortschritte der Malerei
geradezu an der wachsenden Richtigkeit der
Perspektive, und Fluchtpunkt, Augenpunkt und
Horizont boten eine Art Thermometer dar für
den Höhenstand der Kunst. Da war dann Fra
Angelico ungefähr der neutrale Punkt, die Gotik
war ein großes Minus und erst über Masaccio,
Mantegna, Jacopo de Barbari stieg die Kunst
zum Ziel der Skala, dem Photogramm, empor.
Gewiß, ganz so einseitig sind heute nur noch
Wenige. Die meisten haben eingesehen, daß
es unmöglich ist, die reiche Kunst auf eine ein-
fache Skala zu bringen. Außer der realistischen
Kunst haben wir eine bewußt irrealistische
Kunst verstehen und lieben gelernt. Nicht
mehr sehen wir diese als unvollkommene Vor-
stufe jener an, und nicht mehr verlangen wir
von ihr, daß sie sich den Gesetzen der Per-
spektiveunterordne. Für sie wenigstens ist uns
die Perspektive keine Notwendigkeit mehr.
Um so entschiedener aber für die realistische
Kunst wird die Allgemeinheit der Perspektive
Notwendigkeitscharakter zusprechen; scheint
doch beides unzertrennlich, und perspektivische
Darstellung mit realistischer Darstellung gleich-
bedeutend zu sein. — Das aber ist eben ein
Irrtum! Perspektivische Darstellung ist höch-
stens eine Möglichkeit realistischer Darstel-
lung, und eine Kunstpsychologie, die aus dem
Vorhandensein einer realistischen Anschauung
schon die Notwendigkeit perspektivischer Dar-
stellung folgert, verrät mehr Kurzsichtigkeit,
als ihr von Rechtswegen erlaubt ist.
Anhänger solcher Psychologie werden fol-
gendes sagen: es ist eine Tatsache, daß der
Mensch — der normale Mensch — die Natur
perspektivisch sieht. Folglich muß der Maler,
der realistisch sein will, das heißt doch, der die
Natur so malen will, wie „man sie sieht", per-
PROFESSOR JOSEF HOFFMANN—WIEN.
»BÜFETT AUS GEBEIZTER EICHE«
in ihren Möglichkeiten viel zu eng umgrenzen.
Tatsächlich ist es mindestens ebenso wichtig,
unsere Ästhetik vom Naturalismus zu befreien,
wie die Kunst. Die landläufige Ästhetik verengt,
wie gesagt, die Auswahlsmöglichkeiten des
Künstlers im Bewußtsein des Publikums und läßt
auch dadurch in Dingen den Anschein der inne-
ren Notwendigkeit aufkommen, wo nur von
einer Einseitigkeit gesprochen werden dürfte.
So weit freilich scheinen wir heute doch wohl
zu sein, daß wir die Perspektive nicht mehr
für eine absolute Notwendigkeit künstle-
rischer Darstellung annehmen. Früher maß
man die Entwicklungsfortschritte der Malerei
geradezu an der wachsenden Richtigkeit der
Perspektive, und Fluchtpunkt, Augenpunkt und
Horizont boten eine Art Thermometer dar für
den Höhenstand der Kunst. Da war dann Fra
Angelico ungefähr der neutrale Punkt, die Gotik
war ein großes Minus und erst über Masaccio,
Mantegna, Jacopo de Barbari stieg die Kunst
zum Ziel der Skala, dem Photogramm, empor.
Gewiß, ganz so einseitig sind heute nur noch
Wenige. Die meisten haben eingesehen, daß
es unmöglich ist, die reiche Kunst auf eine ein-
fache Skala zu bringen. Außer der realistischen
Kunst haben wir eine bewußt irrealistische
Kunst verstehen und lieben gelernt. Nicht
mehr sehen wir diese als unvollkommene Vor-
stufe jener an, und nicht mehr verlangen wir
von ihr, daß sie sich den Gesetzen der Per-
spektiveunterordne. Für sie wenigstens ist uns
die Perspektive keine Notwendigkeit mehr.
Um so entschiedener aber für die realistische
Kunst wird die Allgemeinheit der Perspektive
Notwendigkeitscharakter zusprechen; scheint
doch beides unzertrennlich, und perspektivische
Darstellung mit realistischer Darstellung gleich-
bedeutend zu sein. — Das aber ist eben ein
Irrtum! Perspektivische Darstellung ist höch-
stens eine Möglichkeit realistischer Darstel-
lung, und eine Kunstpsychologie, die aus dem
Vorhandensein einer realistischen Anschauung
schon die Notwendigkeit perspektivischer Dar-
stellung folgert, verrät mehr Kurzsichtigkeit,
als ihr von Rechtswegen erlaubt ist.
Anhänger solcher Psychologie werden fol-
gendes sagen: es ist eine Tatsache, daß der
Mensch — der normale Mensch — die Natur
perspektivisch sieht. Folglich muß der Maler,
der realistisch sein will, das heißt doch, der die
Natur so malen will, wie „man sie sieht", per-