Emil Rudolf Weiß.
E. R. WEISS. »BLUMENFENSTER« 1900. BES: DR. REIN HART—WINTERT HUR.
heit. Es war angenehm, im Mittelpunkt aller
der von den Wänden herschießenden farbigen
Strahlen, als in einem heitern, kräftigenden, be-
lebenden Feuer, zu stehn. Es erfüllte sich, was
Goethe sagt, daß „ ein jedesKunstwerk,wennman
auch von dem Inhalt abstrahiert, wenn man in
der Entfernung auch nur die allgemeinsten Um-
risse sieht, noch immer dem Auge als ein Zierat
erscheint"; nur daß die Wirkung nicht besonders
von Umriß und Linienspiel ausging, sondern von
der Gesamtheit der farbigen Erscheinung. Damit
ist nicht zu verwechseln, was man früher mit Be-
flissenheit und auch noch heute zuweilen das
Dekorative nennt; in diesem plumpen Sinne
dekorative Bilder vertragen sich überhaupt nicht
miteinander, sind neidisch aufeinander, stören
sich wechselseitig, und ein jedes will allein,
will womöglich die ganze Wand sein. „Was
aber schön ist, selig scheint es in ihm selbst,"
heißt es bei Mörike; und also schmückt es
edler, als alles, was von vornherein darauf aus
ist, zu schmücken....................
E. R. Weiß ist bekanntlich einer unsrer besten
Kenner und Künstler des Schreibens, seine
Adressen — deren letzte, beiläufig, die der
Verwaltung Polens an Hindenburg war — be-
halten neben ihren Vorbildern aus der Blütezeit
der Schreibekunst Figur. Er hat eine Schrift
gezeichnet, die Tempelklassikerfraktur, von der
berufene Urteiler viel Lobendes und Rühmendes
gesagt haben, nur das eine nicht, was aber fast
den Ausschlag gibt: daß diese Schrift, noch
beim Lesen mit schlechtem Licht, die Augen
schont. Das kalligraphische Element würde
für einen Maler vielleicht zur Gefahr werden,
wenn es nicht durch das Konstruktive, das
beim Entwerfen eines Druckbuchstabens die
schärfste Konzentration, das Gesetz des klein-
sten Kraftmaßes auferlegt, zu einer sehr männ-
lichen Eigenschaft würde. Und so, als Festig-
keit, Gedrungenheit, Prallheit, erkennen wir es
in der Schönheit bei Weiß. Sie ist spröde; sie
hat den natürlichen Adel, der es lieber verfehlt
und irre geht, als daß er sich durch eine
E. R. WEISS. »BLUMENFENSTER« 1900. BES: DR. REIN HART—WINTERT HUR.
heit. Es war angenehm, im Mittelpunkt aller
der von den Wänden herschießenden farbigen
Strahlen, als in einem heitern, kräftigenden, be-
lebenden Feuer, zu stehn. Es erfüllte sich, was
Goethe sagt, daß „ ein jedesKunstwerk,wennman
auch von dem Inhalt abstrahiert, wenn man in
der Entfernung auch nur die allgemeinsten Um-
risse sieht, noch immer dem Auge als ein Zierat
erscheint"; nur daß die Wirkung nicht besonders
von Umriß und Linienspiel ausging, sondern von
der Gesamtheit der farbigen Erscheinung. Damit
ist nicht zu verwechseln, was man früher mit Be-
flissenheit und auch noch heute zuweilen das
Dekorative nennt; in diesem plumpen Sinne
dekorative Bilder vertragen sich überhaupt nicht
miteinander, sind neidisch aufeinander, stören
sich wechselseitig, und ein jedes will allein,
will womöglich die ganze Wand sein. „Was
aber schön ist, selig scheint es in ihm selbst,"
heißt es bei Mörike; und also schmückt es
edler, als alles, was von vornherein darauf aus
ist, zu schmücken....................
E. R. Weiß ist bekanntlich einer unsrer besten
Kenner und Künstler des Schreibens, seine
Adressen — deren letzte, beiläufig, die der
Verwaltung Polens an Hindenburg war — be-
halten neben ihren Vorbildern aus der Blütezeit
der Schreibekunst Figur. Er hat eine Schrift
gezeichnet, die Tempelklassikerfraktur, von der
berufene Urteiler viel Lobendes und Rühmendes
gesagt haben, nur das eine nicht, was aber fast
den Ausschlag gibt: daß diese Schrift, noch
beim Lesen mit schlechtem Licht, die Augen
schont. Das kalligraphische Element würde
für einen Maler vielleicht zur Gefahr werden,
wenn es nicht durch das Konstruktive, das
beim Entwerfen eines Druckbuchstabens die
schärfste Konzentration, das Gesetz des klein-
sten Kraftmaßes auferlegt, zu einer sehr männ-
lichen Eigenschaft würde. Und so, als Festig-
keit, Gedrungenheit, Prallheit, erkennen wir es
in der Schönheit bei Weiß. Sie ist spröde; sie
hat den natürlichen Adel, der es lieber verfehlt
und irre geht, als daß er sich durch eine