Emil Rudolf Weiß.
Komposition jede aus einer andern Sphäre stam-
mende Absicht. Er bevorzugte immer mehr die
einzelne, für sich geltende Gestalt. Seine Still-
leben sind keine Huldigung gegen die Natur,
sondern gegen die bildkomponierende Farbe.
Dabei aber fühlte er, daß ihm zu solcher Kom-
position vielleicht doch noch etwas Formales
fehle, ich möchte es das Funktionelle nennen,
und er suchte darnach. Man betrachte die, bei-
läufig, wundervoll in tiefer, feuchter Frische
gemalte Kalla. Das Motiv: eine Blume in einer
Vase auf einem Tisch. Was tut nun der Tisch?
Er stößt mit seinem Winkel in das Bild hinein.
Zu dieser Gewaltsamkeit und Durchbrechung
des natürlichen Anblicks ist in dem Motiv kein
Grund. Wenn bei Cezanne ein Tisch zu klein
ist für das, was er trägt, seine Perspektive nicht
stimmt zu dem, was er trägt, so haben wir das
Gefühl einer so unbedingten, innerlich drang-
vollen Not und Notwendigkeit, daß wir, weit
davon entfernt, eine nicht erreichte Annäherung
an die Natur zu bemängeln, vielmehr den
Triumph der Kunst über die Natur und ihre
wahren Absichten bewundernd erkennen; es
wirkt wie die Engführung im Fugensatz.
Hier, wie gesagt, fehlt etwas bei Weiß; es
fehlt, — aber das heißt nicht, daß hier ein
Mangel ist. Das Innerste seiner Natur sucht
darnach nicht als nach seinem Ziel, sondern nur,
um nicht in einer zu frühen, zu bereitwilligen
Selbstbescheidung zu verflauen. Nicht Funk-
tion, sondern Ruhe ist das Element seines künst-
lerischen Weltsinns; und das Leben, das Ge-
heimnis der Ruhe heißt Schönheit. Schönheit,
von einer mannhaften Art, gibt er mit reichen
Händen, immer feuriger sich sammelnd, immer
fester sich gründend. Seine Blumen funkeln in
ihrem offenen, klaren Glanz; seine Menschen
sehen aus ihrer unantastbaren Existenz fast
kalt auf dich, so ruhevoll sind sie auf sich selbst
bezogen, sehr fern davon, dir zu Willen und
Gefallen zu sein; und wenn die Einsamkeit sie
XX. Januar 1917. 3
Komposition jede aus einer andern Sphäre stam-
mende Absicht. Er bevorzugte immer mehr die
einzelne, für sich geltende Gestalt. Seine Still-
leben sind keine Huldigung gegen die Natur,
sondern gegen die bildkomponierende Farbe.
Dabei aber fühlte er, daß ihm zu solcher Kom-
position vielleicht doch noch etwas Formales
fehle, ich möchte es das Funktionelle nennen,
und er suchte darnach. Man betrachte die, bei-
läufig, wundervoll in tiefer, feuchter Frische
gemalte Kalla. Das Motiv: eine Blume in einer
Vase auf einem Tisch. Was tut nun der Tisch?
Er stößt mit seinem Winkel in das Bild hinein.
Zu dieser Gewaltsamkeit und Durchbrechung
des natürlichen Anblicks ist in dem Motiv kein
Grund. Wenn bei Cezanne ein Tisch zu klein
ist für das, was er trägt, seine Perspektive nicht
stimmt zu dem, was er trägt, so haben wir das
Gefühl einer so unbedingten, innerlich drang-
vollen Not und Notwendigkeit, daß wir, weit
davon entfernt, eine nicht erreichte Annäherung
an die Natur zu bemängeln, vielmehr den
Triumph der Kunst über die Natur und ihre
wahren Absichten bewundernd erkennen; es
wirkt wie die Engführung im Fugensatz.
Hier, wie gesagt, fehlt etwas bei Weiß; es
fehlt, — aber das heißt nicht, daß hier ein
Mangel ist. Das Innerste seiner Natur sucht
darnach nicht als nach seinem Ziel, sondern nur,
um nicht in einer zu frühen, zu bereitwilligen
Selbstbescheidung zu verflauen. Nicht Funk-
tion, sondern Ruhe ist das Element seines künst-
lerischen Weltsinns; und das Leben, das Ge-
heimnis der Ruhe heißt Schönheit. Schönheit,
von einer mannhaften Art, gibt er mit reichen
Händen, immer feuriger sich sammelnd, immer
fester sich gründend. Seine Blumen funkeln in
ihrem offenen, klaren Glanz; seine Menschen
sehen aus ihrer unantastbaren Existenz fast
kalt auf dich, so ruhevoll sind sie auf sich selbst
bezogen, sehr fern davon, dir zu Willen und
Gefallen zu sein; und wenn die Einsamkeit sie
XX. Januar 1917. 3