Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 39.1916-1917

DOI Artikel:
Westheim, Paul: Die Suggestion der Antiquität
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.8535#0341

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Suggestion der Antiquität.

Museumsleuten bewiesen werden sollte, daß
es für sie noch immer zu erschwinglichem Preis
alte Meister zu erstehen gäbe und daß es des-
halb nicht notwendig wäre, sich aus Mangel an
altem Material mit der f heutigen Kunst ein-
zulassen. Eine Beweisführung, die bezeichnend
genug für eine in weitesten Kreisen verbreitete
Denkweise ist. Aber was soll ein kleiner be-
langloser Italiener oder Niederländer — und
nur darum kann es sich ja bei der heutigen
Preisbildung des Kunstmarktes handeln — in
einem unserer Provinzmuseen?! Was soll er
da, wo es eine lokale und kulturelle Beziehung
zu ihm nicht gibt und von einer besonderen
künstlerischen Beziehung keine Rede sein
kann? Ich weiß nicht, was mich irgendwie in
der deutschen Landschaft gleichgültiger lassen
könnte, als einen gelegentlichen Guardi, als ein
Köpfchen des Cima, eine Madonna des Previ-
tali oder eine mythologische Theatralik des van
Noord. Was soll man damit in Halle, in Stettin
oder sonstwo, wo den Leuten an kunsthistori-
schen Belegstückchen gar nichts liegen kann,
wo zu ihnen am stärksten doch die Kunst ihrer
Heimat und die Kunst ihrer Zeit spricht. Aber
es gibt unter denen, die sich wissentlich mit

alter Kunst befassen, einen Dünkel, ja, ich wage
zu sagen: eine Art von Verfolgungswahn gegen
alle Kunst, die nach Abschluß ihrer Hand-,
Lehr- und Nachschlagebücher entstanden ist.
Natürlich ist es ein Trugschluß mit alter Kunsl,
und zwar mit derjenigen zweiten und dritten
Ranges, die neue in Grund und Boden beweisen
zu wollen. Für den Zuschauer haben sie sogar
etwas sehr Paradoxes, diese Bemühungen, die
Leute, die früher die Kunst machten, zu be-
wundern und gleichzeitig die, die sie jetzt
machen, zu verachten. —

Es ist das ja ein Laster, dem seit Jahrhun-
derten, seit den Tagen der Renaissance, die
gesamte Menschheit mit immer neuer Wollust
zu erliegen scheint. Von dem Tage an, da der
römische Boden die erste Antike wieder von
sich gab und dieser Fund einen Glücksrausch
in allen kunstempfänglichen Gemütern entzün-
dede, von dem Tage an, da man einem Bild-
hauer zujubelte, weil er ein der Antike wür-
diges , ein mit den Antiken verwechselbares
Werk geschaffen hatte, war alle gegenwärtige
Kunst nur noch Schatten einer großen, unwie-
derbringlichen Vergangenheit. Wenn Brandi
von der Renaissance auch noch schreiben kann :

XX. Februar 1917. 4
 
Annotationen